Vatermord und andere Familienvergnuegen
um die Hüften und trat nach draußen.
Ich blinzelte in die Sonne. Träumte ich immer noch? Eine Vision tränkte meine Augen mit kühlem Wohlbehagen. Sie war hier: das Flammende Inferno, in meinem Zuhause, neben meinem Vater. Ich erstarrte. Ich kriegte es nicht in den Kopf, die beiden Gestalten nebeneinander stehen zu sehen. Es ergab sich so gar kein Zusammenhang.
»Hi, Jasper«, sagte sie, und ihre Stimme schlängelte sich mein Rückgrat hinunter.
»Hi«, gab ich zurück. Dad stand immer noch da. Warum stand er noch da? Warum bewegte er sich nicht?
»Tja, hier ist er«, sagte er.
»Komm rein«, sagte ich, und das Zögern in ihren Augen erinnerte mich daran, dass ich nur mit einem Handtuch bekleidet war.
»Hast du die Absicht, dir etwas anzuziehen?«, fragte das Inferno.
»Ich glaube, hier müssen noch irgendwo Socken sein.«
»Oben in den Bergen ist ein Buschfeuer«, sagte Dad.
»Wir halten uns davon fern. Vielen Dank für den Tipp«, sagte ich abweisend und drehte ihm den Rücken zu. Als wir in meine Hütte gingen, wandte ich einmal schnell den Kopf, um mich zu vergewissern, dass Dad uns nicht hineinfolgte. Er tat es nicht, aber er zwinkerte mir verschwörerisch zu. Dieses Zwinkern ärgerte mich. Er hatte mir keine Wahl gelassen. Man kann ein Zwinkern nicht nicht akzeptieren. Dann sah ich, wie Dad ihre Beine betrachtete. Sie blickte auf und merkte, dass ich sah, wie er auf ihre Beine schaute. Es war ein befremdlicher Moment, der so oder so hätte ausgehen können. Ich musste lächeln, ob ich wollte oder nicht. Er lächelte auch. Dann sah das Inferno auf und ertappte uns dabei, einander zuzulächeln. Noch so ein befremdlicher Moment.
»Komm rein«, sagte ich.
Das Wischen, Ziehen und Heben ihrer Schritte, als sie meine Hütte betrat, hätte mich in den Alkohol flüchten lassen, hätte sich in meinem Schlafzimmer eine Bar befunden, die zufällig gerade geöffnet hatte. Ich ging ins Bad, um mir eine Jeans und ein T-Shirt überzuziehen, und als ich herauskam, stand sie immer noch in der Tür. Sie fragte mich, ob ich tatsächlich hier lebte.
»Warum nicht? Ich habe es selbst gebaut.«
»Ach wirklich?«
Ich zeigte ihr, wo ich mich geschnitten hatte, als ich dem Bauarbeiter geholfen hatte, ein Fenster einzusetzen. Es war ein gutes Gefühl, ihr meine Narben zu zeigen. Es waren Männernarben.
»Dein Vater macht einen netten Eindruck.«
»Das täuscht.«
»Und, was treibst du so?«
»Ich hab einen Job.«
»Du gehst nicht wieder zur Schule?«
»Warum sollte ich?«
»Ein Highschool-Abschluss kann ganz nützlich sein.«
»Wenn man sich gerne an Papier schneidet.«
Sie bequemte sich zu einem halben Lächeln. Die andere Hälfte machte mir Sorgen.
»Und wie fühlt man sich so als arbeitender Mann?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Du könntest mich genauso gut in einem siebenstöckigen Parkhaus ansprechen und fragen, was für ein Gefühl es ist, im vierten Geschoss zu sein, im Gegensatz zu im dritten zu sein.«
»Ich hab deine Nachricht bekommen.«
»Wir haben einen Mann in den Selbstmord getrieben.«
»Das weißt du nicht.«
Sie war nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Ich konnte nicht atmen. Ich erlebte einen von diesen schrecklichschönent-setzlichekehaftwundersamirreniedageweseneneuphorischsensationellbeunruhigendelektrisierendunerhörterhabenwiderlichaußergewöhnlichen Zustände, die man nur schwer beschreiben kann, wenn man nicht zufällig über das passende Wort stolpert.
»Wie wär's mit einem Spaziergang in meinem Irrgarten?«
»Ich habe wirklich nicht viel Zeit.«
»Ich zeig dir nur das Allernötigste.«
Draußen gleißte alles in der Sonne, und keine Wolke befleckte das Blau, bis auf eine in Form eines Ziegenkopfs, eine versprengte einzelne Wolke, als habe Gott den Himmel geputzt und ein Fleckchen vergessen. Wir gingen zum Bach, folgten seinem Lauf und sahen uns die Gesichter halb eingesunkener Felsbrocken an. Ich erzählte ihr, dass man sie Trittsteine nennt, weil der Mensch gerne glaubt, die gesamte Natur sei eigens für seine Füße gemacht.
Wir folgten dem Bach, dorthin wo er sich ohne Anzeichen von Müdigkeit in den Fluss ergoss. Die Sonne knallte dermaßen vom Himmel herab, dass man nicht aufs Wasser sehen konnte, ohne die Augen zuzukneifen. Das Flammende Inferno kniete am Flussufer nieder und steckte die Hand ins Wasser.
»Es ist warm«, sagte sie.
Ich hob einen flachen Stein auf und warf ihn vom Fluss weg. Ich hätte ihn übers Wasser hüpfen lassen, aber
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