Vatermord und andere Familienvergnuegen
was?« »Besser nicht.«
»Du hast wahrscheinlich recht. Hast du dir was gewünscht?«
»Das mache ich später.« »Warte nicht zu lange.«
»Solange ich nicht blinzele, gilt die Sternschnuppe noch.«
Ich hielt mit den Fingern meine Augenlider weit offen und überdachte meine Wunschoptionen. Die Wahl war einfach. Ich wollte eine Frau. Ich wollte Liebe. Ich wollte Sex. Genauer gesagt, ich wollte das Flammende Inferno. Daraus fomulierte ich einen Wunsch.
Dad muss meine Gedanken gelesen oder sich etwas Ähnliches gewünscht haben, denn er sagte: »Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich beinahe mein ganzes Leben lang Single war.«
»Ach, das erklärt sich eigentlich von selbst«, sagte ich.
»Erinnerst du dich daran, dass ich dir mal von einem Mädchen erzählte habe, in das ich verliebt war?«
»Caroline Potts.«
»Ich denke immer noch an sie.«
»Wo ist sie jetzt?«
»In Europa wahrscheinlich«, sagte er. »Sie war die Liebe meines Lebens.«
»Und Terry war die Liebe ihres Lebens.« Wir tranken unser Bier aus und hörten dem Gluckern des Wasserlaufs zu.
»Sieh zu, dass du dich verliebst, Jasper. Es ist eins der angenehmsten Dinge, die es gibt.«
»Angenehm? Du meinst wie ein heißes Bad im Winter?« »Ganz recht.« »Sonst noch was?«
»Du fühlst dich lebendig, so richtig lebendig.« »Das klingt gut. Was sonst noch?«
»Es verwirrt dich derart, dass du deinen Arsch nicht mehr von deinem Ellbogen unterscheiden kannst.«
Das ließ ich mir durch den Kopf gehen. »Dad«, sagte ich, »bislang hast du mir die Liebe als Annehmlichkeit, als Stimulanz und als Ablenkung beschrieben. Fehlt da nicht noch was?«
»Was willst du denn noch?«
»Ich weiß nicht. Irgendwas Höheres? Oder Tieferes?« »Höher oder tiefer?« »Irgendwas Sinnstiftenderes?« »Wie was?«
»Ich weiß nicht so genau.«
Wir waren an einen toten Punkt gelangt und richteten unsere Blicke wieder zum Himmel. Das nächtliche Firmament enttäuscht, wenn eine Sternschnuppe erst mal gefallen und nicht mehr zu sehen ist. Die Show ist vorbei, sagt der Himmel. Geht nach Haus.
In dieser Nacht schrieb ich einen netten kleinen Erpresserbrief an das Flammende Inferno:
»Ich überlege mir, meine Geschichte noch mal abzuändern und dem Rektor zu sagen, dass du den Vorfall im Zug inszeniert hast. Wenn du es mir ausreden möchtest, triffst du mich jederzeit zu Hause an. Komm allein.«
Sie glauben nicht, dass man eine Frau dazu erpressen kann, einen zu lieben? Tja, das mag stimmen, aber es war mein letzter Trumpf, und ich spielte ihn aus. Ich las mir den Brief sorgfältig durch. Er las sich genauso, wie ein Erpresserbrief zu sein hat: knapp und fordernd. Aber... es zuckte mir die Hand! Ich wollte noch irgendetwas anfügen. Na schön, gestand ich mir zu, aber ich vergaß dabei nicht, dass die Würze in der Kürze liegt. Ich schrieb: »PS. Wenn du nicht auftauchst, glaub nicht, dass ich hier auf dich warte wie ein Idiot. Aber wenn du kommst, werde ich da sein.« Und dann äußerte ich mich noch zur Natur von Erwartung und Enttäuschung, über Lust und Erinnerung und über Menschen, die Verfallsdaten so ernst nahmen wie die Zehn Gebote. Es war ein gelungener Brief. Das erpresserische Element war kurz, ganze drei Zeilen. Das PS umfasste achtundzwanzig Seiten.
Auf meinem Weg zur Arbeit warf ich den Brief in den Briefkasten vor dem Postamt, und fünf Minuten später brach ich mir beinahe die Hand bei dem Versuch, ihn wieder rauszufischen. Ehrlich, die wussten, was sie taten, als sie diese Briefkästen entwarfen - man kommt einfach nicht rein. Ich sage euch, diese kleinen roten Trutzburgen sind wirklich uneinnehmbar.
Zwei Tage später war ich gerade fest eingeschlafen und in einem unangenehmen Traum gefangen, in dem ich an einem Schwimmfest teilnahm, und als ich an der Reihe war, ließen sie das Wasser aus dem Becken. Ich stand auf dem Startblock, und die Menge buhte mich aus, weil ich nichts anhatte und ihnen nicht gefiel, was sie sahen. Dann lag ich ganz plötzlich in einem Bett. In meinem Bett. In der Hütte. Dads Stimme hatte mich ins Bewusstsein zurückgeholt, weg von den missbilligenden Blicken. »Jasper! Du hast Besuch!«
Ich zog die Decke über den Kopf. Ich wollte niemanden sehen. Dad fing wieder an. »Jasper! Bist du da drin, Sohn?« Ich setzte mich im Bett auf. Seine Stimme klang ulkig. Zuerst kam ich nicht darauf, woran es lag, aber dann wurde es mir klar. Er klang höflich. Irgendwas musste los sein. Ich wickelte mir ein Handtuch
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