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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Wehmut.
    Fünf Stunden später flogen wir immer noch über Australien dahin, über die unvorstellbar freudlose und abweisende Landschaft unseres wahnwitzigen Landes. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie endlos es ist. Um die herzzerreißende Schönheit des Landesinneren zu würdigen, muss man mittendrin sein, mit einem gut ausgestatteten Fluchtwagen. Topografisch gesehen, ist es unbegreiflich und furchterregend. Tja, so sieht die Mitte unseres Landes aus. Wahrlich kein Garten Eden.
    Dann flogen wir über den Ozean. Das war's, dachte ich. Die Bühne, auf der sich das unglaubliche Schauspiel unseres Lebens abspielte, hat sich unter den Wolken davongestohlen. Dieses Gefühl ging mir durch und durch, bis ich spürte, dass es sich setzte und sich häuslich einrichtete. Das Einzige, woran nun noch zu denken blieb, war die Zukunft. Sie bereitete mir Sorgen; es schien nicht die Art von Zukunft zu sein, die lange währt.
    »Was hat er mit uns vor?«, fragte ich Eddie plötzlich.
    »Wer?«
    »Tim Lung.«
    »Keine Ahnung. Er hat uns eingeladen, seine Gäste zu sein.«
    »Warum?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Tja, und wie lange sollen wir bleiben?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Was weißt du überhaupt?«
    »Er freut sich darauf, dich kennenzulernen.«
    »Wieso?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Herrgott, Eddie!«
    Wir begaben uns in die Hände des mysteriösen Tim Lung.
    Wollte er, nachdem er Dad dazu benutzt hatte, dem australischen Volk Millionen von Dollars aus der Tasche zu ziehen, ihm nun dafür danken, dass er so liebenswert den Dussel gespielt hatte? War es Neugier - wollte er sehen, wie dumm ein Mensch sein konnte? Oder gab es da eine dunklere Absicht, auf die noch keiner von uns gekommen war?
    Die Kabinenbeleuchtung wurde ausgemacht, und während wir im Dunkeln über den Planeten flogen, sann ich über den Mann nach, den ich töten würde. Aus den Medien wusste ich, dass frustrierte Kriminalbeamte in Thailand, die ihn nicht hatten aufspüren können, behaupteten, er sei die Verkörperung des Bösen, ein wahres Ungeheuer. So gesehen wäre die Welt ohne ihn eindeutig besser dran. Trotzdem bedrückte mich die Erkenntnis, dass Mord die einzige gemeinnützige Idee war, die ich je gehabt hatte.
     

III
    »Keiner da, der uns abholt«, stellte Eddie fest, der den Blick über die Menge im Flughafen schweifen ließ.
    Dad, Caroline und ich wechselten Blicke - wir hatten nicht gewusst, dass jemand hätte da sein sollen.
    »Wartet hier«, sagte Eddie. »Ich geh mal telefonieren.«
    Ich beobachtete ihn, während er mit jemandem sprach, Tim Lung, wie ich annahm. Eddie, der eine absurd gekrümmte, servile Haltung eingenommen hatte und ein apologetisches Lächeln im Gesicht trug, nickte lebhaft.
    Dann legte er auf und führte ein zweites Gespräch. Dad, Caroline und ich beobachteten ihn schweigend. Ab und zu warfen wir einander Blicke zu, die besagten: »Es liegt zwar nicht in unserer Hand, aber wir müssen irgendwas unternehmen, und da ist dieser wissende Blick gerade richtig.« Eddie legte erneut auf und starrte eine Weile das Telefon an. Dann kam er zu uns zurück und rieb sich unheilverkündend die Hände.
    »Wir müssen die Nacht in einem Hotel verbringen. Wir fahren morgen zu Mr. Lung.«
    »Okay. Nehmen wir ein Taxi«, schlug Dad vor.
    »Nein - jemand kommt uns abholen.«
    Zwanzig Minuten später traf eine kleine Thailänderin ein, die Augen so weit aufgerissen, dass man meinen konnte, sie habe keine Augenlider. Langsam, zitternd kam sie auf uns zu. Eddie stand einfach da wie eine wiederkäuende Kuh. Die Frau schlang ihre Arme um ihn, und während sie sich drückten, entwichen ihrem kleinen Mund kleine Schluchzer. Ich erkannte, dass Eddie vollkommen überwältigt war, denn plötzlich sah er nicht mehr aalglatt aus. Ihre Umarmung dauerte und dauerte, bis es allmählich langweilig wurde. Wir anderen waren etwas betreten.
    »Ich Sie schon lange kennenlernen wollen«, sagte sie, sich schließlich an uns wendend.
    »Tatsächlich?«, fragte ich skeptisch.
    Da sagte Eddie: »Ling ist meine Frau.«
    »Nein, ist sie nicht«, widersprach Dad.
    »Doch, bin ich«, sagte sie.
    Dad und ich fassten es nicht - Eddie war verheiratet?
    »Eddie, wie lange bist du schon verheiratet?«, fragte ich.
    »Knapp fünfundzwanzig Jahre.«
    »Fünfundzwanzig Jahre!«
    »Aber du lebst doch in Australien?«, sagte Dad.
    »Jetzt nicht mehr.«
    Dad bekam das einfach nicht in seinen Kopf hinein. »Eddie«, sagte er, »fünfundzwanzig Jahre. Heißt das, dass du schon

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