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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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umbringen, dachte ich. Mit einer unpersönlichen Kugel in den Kopf.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Dad.
    In diesem Augenblick erkannte ich, dass ich nicht darüber erhaben war, eine Rachefantasie auch auszuführen. Seit Monaten hatte ich schändliche Absichten hinsichtlich anderer Menschen gehegt (zum Beispiel ihnen den Mund mit Schafsinnereien zu stopfen), und nun erkannte ich, dass echte Gewalt der nächste logische Schritt war. Nachdem ich jahrelang die saisonalen Auflösungserscheinungen meines Vaters miterlebt hatte, hatte ich schon vor vielen Generationen beschlossen, mich nicht auf ein Leben hochgradiger Kontemplation einzulassen; die jähe Hinwendung zum Mord erschien mir da genau das Richtige zu sein. Nun stand ich plötzlich nicht mehr im Dunkeln, musste mich nicht mehr durch endlose Fluchten von Tagen tasten. Zum ersten Mal seit Langem war der Weg vor mir hell erleuchtet und klar zu erkennen.
    Und so erklärte ich, als Dad gerade zum letzten Mal sein tränenloses Lebewohl sagte: »Ich komme mit.«
     

II
    Sie dürfen es mir glauben: Es verstärkt die Aufregung und Spannung vor einer Reise immens, wenn man mit gefälschtem Pass reist. Zudem würden wir mit einer Privatmaschine fliegen - Dads berühmtes Gesicht würde nicht ohne eine üppige Schmiergeldzahlung aus Australien verschwinden können. Getarnt mit Hüten und Sonnenbrillen, trafen wir am Flughafen ein und gelangten durch eine Sicherheitsschleuse direkt aufs Rollfeld. Eddie erklärte, das Flugzeug gehöre »dem Freund eines Freundes«, und überreichte zwei skrupellosen Zollbeamten Umschläge mit Geld, das sie mit der korrupten Bodencrew und der korrupten Gepäckmannschaft teilen mussten. Jeder, dem wir begegneten, wirkte absolut entspannt bei dieser Transaktion.
    Während wir darauf warteten, dass Eddie mit der Verteilung der Schmiergelder und dem Ausfüllen gefälschter Papiere fertig wurde, massierte Caroline Dads Nacken, und Dad glättete sich die Falten auf der Stirn. Keiner von ihnen sah Eddie an oder sprach mit ihm. Ich konnte nicht anders, als ein gewisses Mitgefühl mit ihm zu empfinden. Ich wusste, dass er beides verdient hatte, die Wut genauso wie die kalte Schulter, doch sein angeborenes schiefes Lächeln ließ ihn so unglücklich aussehen, so gar nicht machiavellistisch, dass ich fast versucht war, sein unentschuldbares Verhalten zu entschuldigen, hätte sich die anwesende Jury nicht schon so klar auf eine Enthauptung geeinigt. »Wenn wir erst mal in der Luft sind, sind wir aus dem Schneider«, sagte Dad, um sich selbst zu beruhigen. Diese surreale Formulierung blieb mir im Gedächtnis haften: »Wenn wir erst mal in der Luft sind.« Keiner sonst sagte etwas; wir hingen alle unseren Gedanken nach, wahrscheinlich sogar alle denselben. Über die Zukunft verlor niemand ein Wort. Sie war unvorstellbar.
    Ohne jeden Zwischenfall bestiegen wir das Flugzeug (es sei denn, man betrachtet Dads tierisches Schwitzen als einen Zwischenfall) und trauten uns nicht mal zu husten, aus Angst, unsere Tarnung könnte auffliegen. Ich schnappte Eddie einen Fensterplatz weg, denn es war das erste Mal, dass ich Australien verließ, und ich wollte zum Abschied winken. Die Motoren liefen an. Dröhnend hoben wir ab und stiegen in den Himmel hinauf. Dann waren wir auf Reisehöhe. Wir waren in der Luft. Wir waren aus dem Schneider.
    »Das war knapp«, sagte ich.
    Eddie guckte überrascht drein, als habe er ganz vergessen, dass ich auch da war. Dann wanderte sein Blick an mir vorbei zum Fenster.
    »Lebewohl, Australien«, sagte er mit einer gewissen Gehässigkeit.
    Das war es also - man hatte uns aus Australien verjagt. Nun waren wir Vertriebene. Wir würden uns wohl alle Barte wachsen lassen, außer Caroline natürlich, die sich das Haar färben würde; wir würden neue Sprachen lernen und uns tarnen, wo wir auch hinkamen: dunkelgrün für Dschungelgegenden, messingglänzend für Hotellobbys. Wir würden jede Menge zu tun haben.
    Ich blickte zu Dad hinüber. Caroline hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Jedes Mal, wenn er mich dabei ertappte, dass ich ihn ansah, warf er mir einen Ist-das-nicht-großartig?-Blick zu, als wären wir auf einem Ausflug zur Vertiefung der Vater-und-Sohn-Bindung. Er hatte vergessen, dass wir bereits auf heimtückische Art aneinandergefesselt waren wie zwei Kettensträflinge. Der Himmel draußen war von gräulicher Farbe, nüchtern und eintönig. Als Sydney außer Sichtweite geriet, überkam mich fast so etwas wie

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