Vatermord und andere Familienvergnuegen
finden, musst du erst dein höheres Selbst finden. Und um dieses höhere Selbst zu finden, musst du das innere Licht finden. Dann verbündest du dich mit dem Licht.«
»Mit dem Licht verbünden. Und dann?«
»Nein - du und das Licht, ihr werdet eins.«
»Wie wird sich das anfühlen?«
»Wie Glückseligkeit.«
»Es ist also was Gutes?«
»Etwas sehr Gutes.«
Und so ging es weiter. Anouk redete über den inneren Frieden, Meditation und die Kraft des Geistes, mit der man zwar keine Löffel verbiegen, aber doch dem Hass den Boden entziehen kann. Nicht, dass sie mich auf den Arm nehmen wollte. Sie war einfach ein Möchtegernguru - sie kannte Erleuchtung nur vom Hörensagen, weiter war sie noch nie gekommen. Trotzdem versuchten wir, unseren Frieden zu finden, das innere Licht, unser höheres und niedereres Ich, und alles dazwischen auch. Anouk meinte, ich hätte eine natürliche Anlage zur Meditation, seit ich ihr anvertraut hatte, dass ich glaubte, die Gedanken meines Vaters lesen zu können, und dass ich oft Gesichter sah, wo keine hingehörten. Sie griff diese Offenbarungen gierig auf, und ihre hektische Stimme wurde noch eindringlicher. Wie in früheren Zeiten stand ich ihrem fanatischen Mitgefühl hilflos gegenüber. Ich ließ es zu, dass sie Blumen und Windspiele kaufte. Ich erlaubte ihr, mir Bücher über meditative Praktiken zu besorgen. Ich ließ mich sogar von ihr zu einer Rebirthing-Veranstaltung schleppen. »Willst du dich etwa nicht an deine Geburt erinnern?«, schimpfte sie, als entdecke sie gerade Vergesslichkeit als einen weiteren unschönen Charakterzug an mir. Sie nahm mich in ein Zentrum mit, dessen Wände die gleiche Farbe hatten wie das Zahnfleisch einer alten Frau, und wir lagen bei gedämpftem Licht im Halbkreis, sangen inbrünstig, regredierten und mühten uns, uns an den Moment unserer Geburt zu erinnern wie an eine vergessene Telefonnummer. Ich kam mir vor wie ein Idiot. Aber ich fand es schön, wieder mit Anouk zusammen zu sein, deswegen machte ich das mit; und so saßen wir Tag für Tag im Lotossitz in Parks und an Stränden, und wie Zwangsneurotiker leierten wir wieder und wieder unsere Mantras runter. In diesen paar Wochen tat ich nichts anderes, als auf meine Atmung zu achten und zu versuchen, meinen Geist zu leeren. Leider war mein Geist wie ein leckgeschlagenes Boot: Kaum hatte ich einen Eimer Gedanken rausgeschippt, waren schon wieder neue hereingeströmt. Und als ich das Gefühl hatte, mich der Leere auch nur ein wenig angenähert zu haben, bekam ich es mit der Angst zu tun. Meine Leere war nicht glückselig, sondern bösartig. Das Geräusch meines eigenen Atems klang eher bedrohlich. Meine Körperhaltung wirkte theatralisch. Manchmal schloss ich die Augen und sah nichts als dieses fremde, schreckliche Gesicht, oder ich sah gar nichts, hörte aber gedämpft und schwach die Stimme meines Vaters, als würde er aus einer Kiste heraus zu mir sprechen. Offensichtlich konnte Meditation mir nicht weiterhelfen. Nichts konnte mir helfen. Mir war nicht mehr zu helfen, und selbst unerwarteter Sonnenschein konnte mich nicht aufheitern. Ich begann mich sogar zu fragen, was ich denn die ganze Zeit über, die ich im Labyrinth lebte, in der Natur gesehen hatte. Sie erschien mir plötzlich scheußlich und protzig, und ich fragte mich, ob es wohl Blasphemie wäre, Gott zu erklären, Regenbogen seien kitschig.
Derart war also meine seelische Verfassung beschaffen, als Dad, Eddie und Caroline vor meiner Wohnung hupten, bis ich runter auf die Straße kam. Der Wagen stand mit laufendem Motor da. Ich ging hin und trat ans Fenster. Alle trugen sie Sonnenbrillen, als würden sie gemeinsam mit einem Kater kämpfen.
»Morgen wollen sie kommen und mich verhaften«, sagte Dad. »Wir machen uns aus dem Staub.«
»Das schafft ihr nie.«
»Mal sehen. Jedenfalls sind wir nur vorbeigekommen, um Lebewohl zu sagen«, meinte Dad.
Eddie schüttelte den Kopf. »Du solltest mit uns kommen.«
Das schien mir ein angemessener Anlass, meinen Kopf zu schütteln, also tat ich das und fragte: »Was wollt ihr durchgeknallten Flüchtlinge denn in Thailand machen?«
»Tim Lung hat angeboten, uns eine Weile aufzunehmen.«
»Tim Lung!«, stieß ich hervor und flüsterte dann: »Gütiger Gott.«
In diesem Moment manifestierte sich ein absurder und gefährlicher Gedanke mit einem fast hörbaren Plopp! in meinem Kopf. Ich hasste Tim Lung mit so offenen Armen, wie ich das Inferno mit geballten Fäusten liebte.
Ich werde ihn
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