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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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verheiratet warst, als wir uns in Paris kennengelernt haben?«
    Eddie lächelte, als handle es sich um eine Antwort, nicht um eine weitere Frage.
    Verwirrt verließen wir das Flughafengebäude. Wir waren nicht nur in einem anderen Land gelandet, sondern in einem Paralleluniversum, einem, in dem Eddie seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet war. Im Freien traf uns die Hitze mit aller Wucht.
    Wir kletterten in einen alten, olivgrünen Mercedes und brausten davon, in Richtung Hotel. Da es mein erstes Mal in einem fremden Land war, saugten meine Augen alles in sich auf - aber ich erspare Ihnen die Reisebeschreibung. Es ist Thailand. Sie wissen, wie es da aussieht, wie es da riecht. Sie haben es in Büchern gelesen, in Filmen gesehen. Heiß, klebrig, schwül, es roch nach scharf gewürzten Speisen, und überall lauerten Drogenhandel und Prostitution, denn wie alle Reisenden hatten auch wir unsere vorgefassten Meinungen mitgebracht und sie nicht, wie wir es hätten tun sollen, beim Zoll als gefährliche Mitbringsel angegeben, die man besser in Quarantäne steckte.
    Im Auto unterhielten sich Eddie und Ling leise auf Thai. Wir hörten mehrmals, wie unsere Namen fielen. Dad konnte die Augen nicht von Eddie und seiner Frau lassen. Seiner Frau!
    »He, Eddie. Hast du auch Kinder?«, fragte Dad.
    Eddie schüttelte den Kopf.
    »Bist du dir da ganz sicher?«
    Eddie wandte sich wieder Ling zu und sprach leise auf sie ein.
    Als wir im Hotel eincheckten, sorgsam darauf bedacht, mit unseren neuen Namen, nicht mit den alten, zu unterschreiben, wurde mir auf einmal bewusst, dass das Merkwürdigste für mich nicht darin bestand, dass ich auf Reisen war und mich plötzlich wirklich und wahrhaftig außerhalb Australiens wiederfand, sondern dass ich in einer Gruppe reiste. Ich hatte mir immer vorgestellt, Australien zu verlassen, wäre das absolute Symbol meiner Unabhängigkeit, und jetzt stand ich hier, und alle waren dabei! Ich weiß, dass man nie vor sich selbst davonlaufen kann und dass man seine Vergangenheit immer mit sich herumschleppt, aber bei mir war das ganz konkret der Fall. Immerhin bekam ich ein eigenes Zimmer, mit Aussicht auf ausgeweidete Hundekadaver.
    In der Nacht lief ich unruhig im Hotelzimmer auf und ab. Die Nachricht von unserer Flucht musste mittlerweile bis zum letzten Wasserloch in Australien vorgedrungen sein, und trotz unseres heimlichen Abgangs würde man uns ohne allzu große Schwierigkeiten aufspüren können. Ich konnte mir die Reaktion darauf, dass wir uns davongemacht hatten, lebhaft vorstellen, und so gegen 3 Uhr nachts fühlte ich mich von etwas überrollt, von dem ich überzeugt war, dass es eine heiße Welle kollektiven Abscheus war, die den weiten Weg von unserem Heimatland bis in unsere klimatisierten Hotelzimmer in der Khao San Road herangerollt war.
    Ich ging hinaus ins nächtliche Bangkok und fragte mich, wo ich wohl eine Waffe herbekommen könnte. Das sollte nicht besonders schwierig sein; in meiner Vorstellung war Bangkok eine verkommene Großstadt, ein Sodom und Gomorrha, wenn auch eins, in dem man wirklich gut essen konnte. Ich befand mich in einem leichten Delirium und starrte nur in die Gesichter, genauer gesagt in die Augen. Die meisten Augen, die ich sah, wirkten aufreizend unschuldig; nur einige jagten einem schon beim bloßen Hinsehen Angst ein. Das waren die, die ich suchte. Ich dachte über Mord und Mörder nach. Mein Opfer war selbst ein Krimineller; wer würde ihm eine Träne nachweinen? Na ja, wer weiß, viele möglicherweise. Vielleicht war er ja auch verheiratet!, dachte ich erschrocken. Ich weiß nicht, warum mich der Gedanke so überraschte, warum sollte er nicht verheiratet sein? Er war ja nicht wegen seiner Hässlichkeit oder Unleidlichkeit berüchtigt, sondern wegen seiner Skrupellosigkeit. Und in gewissen Kreisen gilt das als attraktiv.
    Es war mittlerweile 4 Uhr morgens, immer noch drückend heiß, und ich hatte bislang nicht eine einzige Waffe zu Gesicht bekommen. Ich lief weiter und dachte: Tim Lung - soll ich dich auf der Stelle töten, ohne dir auch nur einen Aperitif anzubieten? Während ich lief, zündete ich mir eine Zigarette an. Warum auch nicht? Das ist nicht ohne Grund weltweit die Nummer eins unter den vermeidbaren Todesursachen.
    Ich war erschöpft und lehnte mich an einen Türpfosten. Ich spürte, dass mich jemand ansah. Es war etwas Erschreckendes und zugleich Animierendes in diesem Blick. Es waren genau die Augen, nach denen ich gesucht hatte.
    Ich ging zu dem

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