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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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verstärkte sich noch, als ich im Schatten der Bäume Männer mit halb automatischen Gewehren sah, die uns musterten, als wären wir gekommen, um ein Produkt zu verkaufen, von dem sie wussten, dass es nichts taugt. Die Männer trugen kurzärmelige Hemden und lange Hosen. Ich wies Dad auf die Bewaffneten hin und erntete den vorhersehbaren Kommentar: »Ich weiß«, sagte er. »Lange Hosen bei diesem Wetter!«
    »Hier lang«, sagte Eddie.
    Wir stiegen ein paar steile Stufen in einen rechtwinkligen Hof hinab, in dem Schweineschädel aufgespießt waren, denen Räucherstäbchen aus der Stirn sprossen. Nett. Eine ganze Wand des Hofs wurde von einem Wandgemälde eingenommen, das eine Stadt zeigte, in der eine Feuersbrunst wütete. Vielversprechend. Am anderen Ende erwarteten uns bereits offen stehende große Schiebetüren. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte -zähnefletschende Dobermänner, Tische, auf denen sich Kokain und Säcke voll Geld türmten, Prostituierte, die sich auf weißen Ledersofas räkelten, und eine Blutspur, die zu den verstümmelten Leichen von Polizisten führte? Was ich nicht erwartete, war allerdings auch das Allerletzte auf Erden, was ich hätte erwarten können.
    Dad sah es zuerst. »Ach du Scheiße...«, sagte er.
    Rechts und links an den Wänden hingen, gerahmt oder mit braunem Klebeband fixiert, Hunderte und Aberhunderte Fotografien von Dad und mir.
    Genau wie Dad sagte ich: »Ach du Scheiße...«
     

V
    »Marty! Das sind ja Fotos von dir!«, rief Caroline aus. »Ich seh's!«
    »Und von dir, Jasper!« »Ja, ich seh's!«
    »Bist du das als Baby? Du warst ja so süß!«
    Unsere Gesichter aus den verschiedenen Epochen starrten uns aus jeder Ecke des Raums an. Diese perverse Ausstellung enthielt sämtliche Aufnahmen, die Eddie während der vergangenen zwanzig Jahre gemacht hatte. Es gab Bilder von einem jungen Dad in Paris, schlaksig und groß, noch mit allen Haaren und einem seltsamen Bart, der es auf Kinn und Hals, aber nicht ganz aufs Gesicht geschafft hatte oder hatte schaffen wollen; Dad, bevor er begonnen hatte, Fettzellen anzusammeln, der dünne Zigaretten in unserer ersten Wohnung raucht. Und von mir waren ebenso viele da: ich als Baby und wie ich mich durch Kindheit und Pubertät tastete. Aber es waren die Fotos aus Paris, die mich am meisten interessierten: Fotos über Fotos von Dad mit einer jungen, blassen, schönen Frau mit einem moralzersetzenden Lächeln.
    »Dad, ist das...?«
    »Astrid«, bestätigte er.
    »Ist das deine Mutter, Jasper? Sie ist wunderschön«, gurrte Caroline.
    »Was soll das alles?«, brüllte Dad. Seine Stimme hallte durchs Haus. Dad war ein redlicher Paranoiker, der nach all den Jahren schließlich entdeckte, dass es tatsächlich eine Verschwörung gegen ihn gegeben hatte.
    »Kommt«, sagte Eddie und führte uns ins Haus hinein.
    Dad und ich waren wie benommen. Hatte das etwas mit Astrids Selbstmord zu tun? Damit, dass meine Mutter auf einem von Tim Lungs Booten umgekommen war? Wir waren in die Rolle von Detektiven geraten, gezwungen, unser eigenes Leben zu recherchieren, aber unsere mentale Reise in die Vergangenheit blieb ergebnislos. Wir kamen einfach nicht dahinter. Wir fühlten uns gleichermaßen erschlagen wie erregt. Der Albtraum eines Paranoikers! Der Traum eines jeden Narzissten! Wir wussten nicht, wie wir uns fühlen sollten: geschmeichelt oder missbraucht. Beides vielleicht. Wir rätselten in halsbrecherischer Geschwindigkeit. Offensichtlich war Eddie für die Obsession dieses Superverbrechers verantwortlich, aber wie hatte er das angestellt, was hatte er gesagt? Was konnte er gesagt haben? Ich stellte mir vor, wie er bei einem Besäufnis zu später Stunde seinem Boss erklärte: »Du kannst dir diese Typen gar nicht vorstellen. Die sind völlig durchgeknallt. So was dürfte gar nicht frei rumlaufen!«
    »Mr. Lung wartet hier drin auf euch«, sagte Eddie und zeigte auf eine zweiflügelige Holztür am Ende des Flurs. Er besaß die Unverschämtheit zu grinsen.
    Dad packte ihn plötzlich brutal am Hemdkragen; es sah aus, als wolle er Eddie das Hemd über den Kopf ziehen - offiziell Dads erster Akt von körperlicher Gewaltanwendung. Caroline löste gewaltsam seine Finger. »Wo hast du uns hier reingeritten, du Dreckskerl?«, schrie Dad, aber es kam nicht so bedrohlich raus, wie er es beabsichtigt hatte. Wut, gemischt mit aufrichtiger Neugier, kommt eben seltsam rüber.
    Ein bewaffneter Wachmann trat aus einer Tür, um zu sehen, was der Aufruhr sollte.

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