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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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der Arbeit, in seinem Anzug, so steif, als könne er die Knie nicht beugen. Er stand in meiner Bürozelle, linkisch und plump wie ein mit Brettern vernageltes Haus. Ihren Gipfel erreichte unsere traurige, stumme Konfrontation, als er mir die schreckliche Neuigkeit mitteilte. Er musste es mir eigentlich gar nicht mehr sagen. Ich weiß nicht, warum, aber ich wusste es bereits. Man hatte Krebs bei ihm festgestellt. Sah er denn nicht, dass ich es schon gewusst hatte, als er eintrat? Ich hatte mir fast die Augen zuhalten müssen vor dem grellen Licht des Todes.
    Es waren seltsame, turbulente Tage; Dad heiratete die Exfreundin seines Bruders, Anouk heiratete den Sohn eines Milliardärs, Dad wurde von seinem besten Freund betrogen, ich wurde von meiner großen Liebe betrogen, und er wurde von einer ganzen Nation verachtet. Die Bezeichnungen in den Medien für ihn variierten: Geschäftsmann, Betrüger, Jude. Ich erinnere mich, dass es ihn oft quälte, dass er nicht imstande dazu war, sich selbst zu definieren. Dass er derart in Schubladen gesteckt wurde, erinnerte ihn nur daran, was er nicht war.
    Alles lief schief. Ich erhielt Todesdrohungen von Wildfremden. Ich musste mir von der Arbeit freinehmen. Ich war einsam. Ich lief ewig durch die Straßen und versuchte, mir selbst weiszumachen, ich sähe überall das Flammende Inferno, aber es gibt einfach zu wenige einen Meter zweiundachtzig große Rothaarige in Sydney, und es endete damit, dass ich sie mit ein paar lächerlichen Ersatzfiguren verwechselte. Ich zog mich in meine Wohnung zurück und wurde so depressiv, dass ich mich jedes Mal, wenn es Zeit war, etwas zu essen, fragte: Was soll mir das schon bringen? Nachts träumte ich immer nur von einem Gesicht, demselben Gesicht, von dem ich schon als Kind geträumt hatte - eine hässliche, durch einen stummen Schrei verzerrte Visage, die ich manchmal sogar im Wachzustand sehe. Ich wollte wegrennen, aber ich wusste nicht, wohin, und schlimmer noch, ich konnte mich nicht mal dazu aufraffen, meine Schnürsenkel zuzubinden. In dieser Zeit begann ich Zigaretten und Gras Kette zu rauchen, Müsliflocken direkt aus dem Karton zu essen, Wodka aus der Flasche zu trinken und mich in den Schlaf zu kotzen. Ich weinte grundlos, führte mit ernster Stimme Selbstgespräche und marschierte durch die Straßen voller Menschen, die im Gegensatz zu mir eindeutig nicht innerlich schrien und nicht durch Unschlüssigkeit paralysiert waren und nicht von jedermann auf diesem elenden Inselkontinent gehasst wurden.
    Ich schlug mein Lager im Bett auf, unter der Bettdecke, und blieb dort, bis ich eines Tages aus einem Alkoholschlaf hochschreckte und sah, dass Anouks grüne Augen auf mich gerichtet waren.
    »Ich versuche schon seit Tagen, dich anzurufen.«
    Sie trug ein altes Unterhemd und eine Jogginghose. Der Schock, Geld geheiratet zu haben, zwang sie offenkundig zu kleidungstechnischem Understatement.
    »Das ist schon sehr seltsam, Jasper. Ich habe genau dasselbe Gefühl wie damals, als ich das erste Mal in die Wohnung deines Vaters gekommen bin. Weißt du noch? Sieh dich doch mal um! Das ist ja ekelhaft. Glaub mir - Bierflaschen als Aschenbecher sind ein Fingerzeig, den man nicht ignorieren darf!«
    Sie rannte in der Wohnung herum und begann, ohne sich von dem angeschimmelten Essen und allgemeinen Gerumpel meines versumpften Alltags abschrecken zu lassen, energisch aufzuräumen. »Du musst die Wände neu streichen, um diesen Mief rauszukriegen«, sagte sie. Das An- und Abschwellen ihrer Stimme bewirkte, dass ich wieder einschlief. Das Letzte, was ich sie sagen hörte, war: »Genau wie dein Vater.«
    Als ich ein paar Stunden später aufwachte, war die ganze Wohnung aufgeräumt und roch nach Räucherstäbchen. Anouk saß, die langen Beine gekreuzt, auf dem Boden; die Schuhe hatte sie abgestreift, ein Sonnenstrahl spiegelte sich auf ihrem Fußgelenkkettchen. »Es ist zu viel passiert. Du bist überreizt. Komm runter zu mir«, sagte sie.
    »Nein, danke.«
    »Ich hab dir doch gezeigt, wie man meditiert, oder?«
    »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
    »Dein Dad konnte nie abschalten - deswegen hatte er ständig Zusammenbrüche. Wenn sich dein Geisteszustand nicht genauso verschlechtern soll, musst du durch Meditation zur absoluten Stille des Bewusstseins finden.«
    »Lass mich in Ruhe, Anouk.«
    »Ich will dir doch nur helfen, Jasper. Diesen ganzen Hass kannst du nur überleben, wenn du deinen inneren Frieden findest. Und um diesen inneren Frieden zu

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