Vatermord und andere Familienvergnuegen
mir meine einen Dollar zwanzig nicht wert. Das kannte ich alles schon. Während ich weiterging, kam mir der Gedanke, dass diesen Schlagzeilen etwas Irreales anhaftete, ähnlich wie ein verlängertes Déjà-vu. Ich kann das nicht wirklich erklären. Es kam mir vor, als stünde ich entweder am Ende von etwas, das ich für endlos gehalten hatte, oder am Anfang von etwas, von dem ich hätte schwören können, dass es schon vor langer Zeit begonnen hatte.
In den nächsten Tagen saß ich Tag und Nacht an meinem verriegelten Fenster und schrieb. Dabei musste ich an Dads hässlichen, ewig vor sich hin dozierenden Kopf denken und so hysterisch lachen, dass die Nachbarn an die Wände hämmerten. Das Telefon klingelte ununterbrochen - Journalisten. Ich ignorierte es und schrieb unermüdlich drei Wochen lang, jede Seite ein neues Abladen von Albträumen, die loszuwerden eine ungeheure Erlösung war.
Eines Abends lag ich auf dem Sofa und kam mir deplatziert vor wie ein Augenlid, das sich in einem Auge verfangen hat, als ich durch die Wand einen Streit der Nachbarn mithörte. Eine Frau schrie: »Warum hast du das getan?«, und ein Mann schrie zurück: »Ich hab's im Fernsehen gesehen! Verstehst du denn keinen Spaß?« Bei dem Versuch dahinterzukommen, was er angestellt hatte, verbrauchte ich gerade die, wie mir schien, letzte meiner Hirnzellen, als es an der Tür klopfte. Ich machte auf.
Vor der Tür stand mit beneidenswerter Haltung ein junger, bereits kahl werdender Mann in einem Nadelstreifenzweireiher. Er sagte, sein Name sei Gavin Love, was ich ihm auch sofort abnahm: Ich konnte mir keinen Grund vorstellen, aus dem sich jemand Gavin Love nennen würde, wenn das nicht sein richtiger Name wäre. Er erklärte ferner, Anwalt zu sein, was seiner Gavin-Love-Story noch mehr Glaubwürdigkeit verlieh. Er sagte, er habe einige Papiere, die ich unterschreiben müsse.
»Was für Papiere?«
»Der Besitz Ihres Vaters ist in einem Depot eingelagert. Das gehört nun alles Ihnen. Sie müssen lediglich hier unterschreiben.« »Und wenn ich das Zeug nicht haben will?« »Wie meinen Sie das?«
»Wenn ich das Erbe nicht antrete, brauch ich ja wohl nicht zu unterschreiben.«
»Tja...« Er schien mich nicht verstehen zu wollen. »Ich brauche bloß Ihre Unterschrift«, sagte er zögernd.
»Das habe ich schon verstanden. Ich bin nur nicht sicher, ob ich sie Ihnen geben soll.«
Seine Selbstsicherheit löste sich in Luft auf. Mir war klar, dass er hierfür Ärger bekommen würde.
»Mr. Dean, wollen Sie Ihr Erbe denn nicht antreten?«
»Hatte er Geld? Das könnte ich nämlich echt brauchen.«
»Nein, ich bedaure. Sein Konto ist leer. Und alles von Wert ist sicher bereits verkauft worden. Was von seinen Besitztümern noch übrig ist, ist...«
»Wertlos.«
»Aber einen Blick wert«, meinte er, bemüht, optimistisch zu klingen.
»Vielleicht«, erwiderte ich skeptisch. Aber egal, warum quälte ich diesen armen Trottel? Ich war brav und unterschrieb. Erst danach fiel mir auf, dass ich mit »Kasper« unterschrieben hatte. Er hatte es anscheinend nicht gemerkt.
»Und wo ist dieser Lagerraum?«
»Hier ist die Adresse«, sagte er und gab mir einen Zettel. »Wenn Sie gleich hinwollen, könnte ich Sie mitnehmen.«
Wir fuhren zu einem verlassen wirkenden städtischen Gebäude, das sich zwischen Möbellagern und Lebensmittelgroßhandlungen in die Höhe reckte. Ein Pförtner in einem kleinen, weiß gestrichenen Häuschen wachte über die hölzerne Schranke zum Parkplatz. Gavin Love ließ sein Fenster herunter.
»Das hier ist Jasper Dean. Er ist hier, um den Nachlass seines Vaters zu übernehmen.«
»Ich will hier gar nichts übernehmen«, widersprach ich. »Nur mal anschauen.«
»Ausweis«, sagte der Pförtner.
Ich zog meinen Führerschein hervor und reichte ihn rüber. Der Pförtner musterte ihn und versuchte, das Gesicht im Ausweis mit dem Gesicht, das an meinem Kopf haftete, abzugleichen. Sie passten nicht recht zueinander, aber er drückte ein Auge zu.
Wir fuhren vor das Gebäude.
»Sie werden sicher eine Weile brauchen«, sagte Gavin Love.
»Keine Angst, Sie müssen nicht warten.«
Ich stieg aus dem Wagen, und Gavin Love wünschte mir alles Gute, was er anscheinend für ziemlich anständig von sich hielt. Ein kleiner, pummeliger Mann in einer grauen Uniform öffnete die Tür. Sein Hosenbund saß höher, als ich es für gängige Praxis hielt.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich heiße Jasper Dean. Das Hab und Gut meines Vaters ist
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