Vatermord und andere Familienvergnuegen
hinterließ eine unübersehbare Lücke in ihrem Leben, eine bedeutende Leerstelle, die gefüllt sein wollte. Wen zum Teufel sollten sie nun hassen?
Schließlich beschlossen sie, mich gehen zu lassen. Nicht dass sie kein Interesse daran gehabt hätten, mich zu belangen, aber sie wollten, dass ich den Mund hielt. Ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie die Flüchtlinge im Internierungslager behandelt wurden, und die Regierung wollte nicht, dass ich von systematischen Misshandlungen von Männern, Frauen und Kindern berichtete, daher kaufte man mein Schweigen, indem man die Anklagen gegen mich fallen ließ. Ich spielte mit. Und das ohne schlechtes Gewissen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Fakten für das Wählervolk von Bedeutung sein würden. Wieso die Regierung diese Befürchtung hegte, ist mir rätselhaft. Offenbar hatten sie mehr Vertrauen in die Menschen als ich.
Im Gegenzug für mein Schweigen gaben sie mir eine miese kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem miesen Wohnblock in einem miesen Vorort. Die Bundespolizei flog mich aus der Wüste nach Sydney, lud mich dort ab und überreichte mir zusammen mit den Schlüsseln zu meinem schmuddeligen Winzapartment einen Karton mit Papieren, die sie in meiner alten Wohnung konfisziert hatten, nachdem wir aus dem Land verduftet waren: meinen richtigen Pass, meinen Führerschein und ein paar Telefonrechnungen, die ich mal besser bezahlen sollte, wie sie mir zu verstehen gaben. Als sie weg waren, saß ich im Wohnzimmer und starrte durch die verriegelten Fenster auf die Wohnung gegenüber. Mir schien, ich hatte aus den Behörden nicht genug rausgeholt. Ich hatte sie erpresst, mir dieses Drecksloch und Sozialhilfe in Höhe von dreihundertfünfzig Dollars alle zwei Wochen zuzubilligen, doch ich hatte den Eindruck, ich hätte noch viel mehr rausschinden können.
Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel. Meine Wangen waren eingefallen, meine Augenhöhlen tief eingesunken. Ich war derart abgemagert, dass ich wie ein Speer aussah. Ich musste wieder Fett ansetzen. Aber abgesehen davon, was nun? Was sollte ich nun machen?
Ich versuchte, Anouk anzurufen, der einzige Mensch auf Erden, zu dem ich noch eine Beziehung hatte, doch das entpuppte sich als weitaus schwieriger, als ich erwartet hatte. Es ist nicht so einfach, Verbindung zur reichsten Frau des Landes aufzunehmen, selbst wenn sie mal bei dir das Klo geputzt hat. Ihre Privatnummer stand, was mich nicht überraschte, nicht im Telefonbuch, und erst nachdem ich bei der Hobbs Media Group angerufen und mit diversen Sekretärinnen gesprochen hatte, kam ich auf die Idee, statt nach Anouk nach Oscar zu fragen. Ich holte mir ein paar Abfuhren, bis eine junge Frau fragte: »Ist das ein Scherzanruf?«
»Nein, ist es nicht. Warum sollte ich nicht mit ihm sprechen?«
»Wissen Sie es wirklich nicht?« »Was?«
»Wo haben Sie denn die letzten sechs Monate gelebt, in einer Höhle?«
»Nein, in einem Gefängnis mitten in der Wüste.«
Das brachte mir ein langes Schweigen ein. »Er ist tot«, sagte sie schließlich. »Sie sind beide tot.«
»Wer?«, fragte ich, und eine eisige Hand legte sich um mein Herz.
»Oscar und Reynold Hobbs. Ihre Privatmaschine ist abgestürzt.«
»Und Mrs. Hobbs?«, fragte ich zitternd. Bitte, lass sie nicht tot sein. Bitte, lass sie nicht tot sein. In dem Moment wurde mir klar, dass von allen Menschen, die ich im Leben gekannt hatte, Anouk es am wenigsten verdient hatte zu sterben.
»Tut mir leid.«
Ich spürte, wie alles aus mir wich. Liebe. Hoffnung. Lebenswille. Es blieb nichts mehr übrig.
»Sind Sie noch da?«, fragte die Frau.
Ich nickte. Mir fehlten die Worte. Die Gedanken. Die Luft zum Atmen.
»Alles in Ordnung?«
Diesmal schüttelte ich den Kopf. Wie sollte nun jemals wieder etwas in Ordnung sein?
»Warten Sie mal«, sagte sie. »Welche Mrs. Hobbs meinen Sie denn?«
Ich schluckte.
»Reynolds Frau Courtney war mit im Flugzeug, nicht die andere.«
»Und Anouk?«, stieß ich hervor. »Nein, die war nicht mit dabei.«
Mit einem tiefen Atemzug saugte ich all die Liebe, Hoffnung und den Lebenswillen wieder in meine Lungen. Ich danke dir! »Wann ist das passiert?« »Vor etwa fünf Monaten.«
»Ich muss mit ihr sprechen. Sagen Sie ihr, Jasper Dean möchte mit ihr reden.«
»Jasper Dean? Der Sohn von Martin Dean?« »Ja.«
»Sind Sie nicht aus dem Land geflohen? Seit wann sind Sie wieder hier? Ist Ihr Vater bei Ihnen?«
»Lassen Sie mich einfach mit Anouk sprechen!« »Tut mir leid,
Weitere Kostenlose Bücher