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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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rief eine Stimme von der Rückbank. Sofort strahlte ich über das ganze Gesicht, was komisch war, denn ich hatte schon lange nicht mehr übers ganze Gesicht gestrahlt. Ich öffnete die hintere Tür und tauchte hinein. Der Wagen fuhr los, und Anouk und ich umarmten uns ganze zehn Minuten lang, ohne etwas zu sagen oder einander loszulassen.
    Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, starrten wir uns mit halb offenem Mund an. Es gab einfach zu viel zu sagen, um zu wissen, wo man anfangen sollte. Anouk sah nicht wie eine reiche Witwe aus. Sie trug einen tiefroten Seidensari und hatte ihren Kopf wieder kahl rasiert. Ihre riesigen grünen Augen flackerten wie Anzeichen einer vorgeschichtlichen Katastrophe aus ihrem Schädel. Ihr Gesicht wirkte zugleich jung und alt, fremd und vertraut.
    »Du denkst sicher, ich war von den ganzen mysteriösen Vorgängen paranoid geworden«, sagte sie. »Aber es ist grässlich, Jasper. Alle wollen, dass ich ein tapferes Gesicht mache, aber ich kann das nicht. Ich kann nur ein verstörtes Gesicht machen. Erst Oscar und nun auch noch dein Vater, da ist mir kein anderes geblieben.«
    Ich saß da und überlegte, womit ich anfangen sollte. Stattdessen drückte ich wortlos ihre Hand.
    »Jetzt gehört alles mir, Jasper. Ich weiß nicht, wie das passiert ist. Ich bin die reichste Frau Australiens.«
    »Die reichste Frau der Welt«, sagte der Fahrer.
    »Nicht lauschen!«
    »Tut mir leid, Anouk.«
    »Ich will nicht, dass mich jemand Mrs. Hobbs nennt. Na ja, das ist ein anderes Thema. Aber ist es nicht verrückt, dass ich so reich bin?« Es war mehr als verrückt. Es war auch mehr als absurd. Ich musste daran denken, wie wir uns kennengelernt hatten - sie hatte mit einem Schlüssel Dads Sportwagen zerkratzt, weil sie einen Hass auf die Reichen hatte. »Aber du bist so dünn!«, rief sie aus. »Was ist denn mit dir passiert? Ich hab's nur bruchstückweise mitgekriegt.«
    Ich bat den Fahrer anzuhalten, und er stoppte den Wagen in einer schmalen Sackgasse. Anouk und ich stiegen aus. Neben einem schlafenden Betrunkenen, der einen kaputten Fernseher umklammerte, erzählte ich ihr alles über Eddie und Terry und die basisdemokratische Verbrechenskooperative, über Thailand, Gift, den Lynchmob und Caroline und die Schlepperbande. Als ich zu der Stelle mit unserer Bootsfahrt kam, biss sie auf ihrer Unterlippe herum, und als ich ihr von Dads Tod erzählte, saugte sie sie ganz in den Mund. Den Rest der Geschichte hörte sie sich mit geschlossenen Augen und einem traurigen, bittersüßen Lächeln an. Die Gemälde meiner Mutter erwähnte ich nicht, denn ich brauchte etwas, das mir allein gehörte.
    »Was mich angeht«, sagte sie, »ich bin untergetaucht. Alle erwarten von mir, dass ich entscheide, wie es weitergehen soll. Übernehme ich nun diese Megafirma, oder lass ich's bleiben?«
    »Möchtest du denn?«
    »Ein Teil davon könnte ja ganz cool sein. Es könnte Spaß machen, eine Filmfirma zu leiten. Ich habe doch schon mal einen Kurzfilm produziert, weißt du noch?«
    Nur zu gut.
    Es war eine aus abstrakten Bildern und überdeutlichem Symbolismus gesponnene, grauenhaft prätentiöse Geschichte über einen reichen Mann, der eine arme Frau überredet, ihm ihre Brust zu verkaufen. Nachdem er sie bekommen hat, sitzt er mit der Brust in seinem Lieblingssessel, streichelt sie, küsst sie und will, dass der Nippel steif wird. Als der Nippel nichts dergleichen tut, wirft er die Brust aus Frust und Verzweiflung auf den Grill und verspeist sie mit Tomatensoße.
    »Was meinst du, Jasper? Ob ich ein Filmstudio leiten könnte?«
    »Ohne Frage.«
    »Ich gebe vieles an Freunde ab - die Musikfirmen, die Buchhandlungen, die Restaurants, die Hotelketten, die Kreuzfahrtschiffe -, und mein Dad wollte schon immer eine Insel haben, aber ich warte bis zu seinem Geburtstag.«
    »Behältst du überhaupt nichts?«
    »Doch natürlich. Ich bin ja nicht bescheuert. Ich behalte die Zeitungen, die Illustrierten, die Radiosender, die Kabel- und Satellitensender und das Filmstudio. Kannst du das fassen, Jasper? Die einflussreichsten Propagandamaschinen der Menschheitsgeschichte, und sie sind in unsere Hände gefallen!«
    »Was meinst du mit >unsere    »Das ist es, worüber ich mit dir reden wollte. Was hast du denn nun für Pläne?«
    »Ich will nach Europa und nach der Familie meiner Mutter suchen. Aber dazu brauch ich Geld. Kannst du mir was geben, Anouk? Ich werds dir nicht zurückzahlen.«
    Anouk spähte plötzlich die Gasse hoch und

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