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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Großstadt. Wo zum Teufel sollten wir so jemanden finden?«
    Das Feuer verbergend, das in mir loderte, zeigte ich, ohne von meinem Buch aufzuschauen, auf die stolzeste Leistung meines Vaters - das Gefängnis auf dem Hügel.
     

SCHÖPFUNG
    »Und woher sollen wir wissen, wer uns am besten beraten könnte?«, fragte Dave.
    »Ich weiß schon, wer«, sagte ich.
    Im Schuppen meines Vaters fand sich jedes erdenkliche Detail über das Gefängnis und das Leben darin, einschließlich - dank seines Triumphs über den Gefängnisdirektor beim Billard - der Akten über die Insassen. Nachdem mir meine Idee gekommen war, hatte ich jede einzelne Akte dieser Menagerie des Abschaums studiert und die Akte des eindeutigen Siegers gestohlen.
    »Zuerst habe ich alle Wirtschaftskriminellen aussortiert, alle, die wegen häuslicher Gewalt einsitzen, und alle, die ein einzelnes Verbrechen aus Leidenschaft begangen haben«, erklärte ich.
    »Und weiter?«
    »Außerdem habe ich alle Vergewaltiger rausgeschmissen.« »Wieso?«
    »Weil damit nun wirklich kein Geld zu machen ist.« »Hast du jetzt einen ausgesucht oder nicht?«, schnauzte Bruno.
    Ich legte mein Buch weg und holte die Akte aus meiner Tasche. Mein Herz schlug so heftig, dass ich es gegen meine Rippen pochen spürte. Ich schob die Akte über ein Fleckchen Gras zu Bruno rüber, mein Mund war so trocken wie ein frisches Handtuch. »Das ist euer Mann«, sagte ich.
    Bruno schaute hinein. Die anderen scharten sich um ihn. Der Name des Insassen war Harry West; er hatte lebenslänglich. Es gab kein Verbrechen, das er nicht begangen hatte: Ladendiebstahl, Nötigung und Körperverletzung, Einbruch, unerlaubter Waffenbesitz, schwere Körperverletzung, Drogenbesitz, Drogenhandel, Herstellung von Drogen, versuchte Bestechung eines Justizbeamten, erfolgreiche Bestechung eines Justizbeamten, Steuerhinterziehung, Hehlerei, Brandstiftung, Diebstahl, Totschlag, Mord - die volle Palette. Er hatte ein Bordell angezündet. Er hatte einen Mann über den Haufen geschossen, weil der bei einem Walzer Foxtrott getanzt hatte. Er hatte ein Pferd auf der Rennbahn niedergestochen. Er hatte Arme gebrochen, Beine, Füße, Zehen, Teile von Zehen und Teile von Teilen; seine Vorstrafen summierten sich auf fünfzig Jahre.
    »Wieso ausgerechnet der?«
    Ich sprang auf. »Die Haupterwerbszweige der Unterwelt sind Glücksspiel und Prostitution. Bordelle, Stripschuppen, Nachtclubs - dort spielt die Musik. Ihr braucht einen, der überallhin seine Verbindungen hat. Ihr braucht einen gestandenen Berufskriminellen. Ihr wollt doch keinen Gelegenheitsverbrecher.«
    Man muss es mir lassen, ich wusste, wovon ich redete. Die Jungen waren beeindruckt. Sie sahen sich die Laufbahn von Harry West noch mal genauer an. Es sah aus, als habe er mehr als die Hälfte seines Lebens im Knast gesessen. Sonderlich viel Zeit zum Rumrennen kann er also kaum gehabt haben.
    Ich fuhr fort: »Man kann unmöglich sagen, wie hoch er innerhalb der kriminellen Rangordnung steht, aber selbst wenn er nur Laufbursche war, ist er lang genug dabei gewesen, um zu wissen, wie das System funktioniert. Glaubt mir, das ist der Richtige!«
    Ich war wie elektrisiert. So hatte man mich noch nie erlebt. Sie musterten mich verblüfft. Eine schwache Stimme in meinem Kopf schalt mich dafür, sie auch noch anzufeuern, aber ich hatte fast mein ganzes waches Leben damit verbracht, verschrobene Ideen auszubrüten, und kein Mensch außer Caroline hatte je eine davon zu hören bekommen. Bis zu diesem Augenblick.
    »Tun wirs«, sagte Bruno, und sofort zog sich mir der Magen zusammen. Warum? In mir vollzog sich eine seltsame physische Reaktion. Meine Idee war kaum angenommen, schon gefiel sie mir nicht mehr. Nun kam sie mir blöd vor, regelrecht absurd. Als ich sie einfach im Kopf gehabt hatte, fand ich sie viel besser. Nun, da sie in die Welt hinausgetreten war, würde ich für etwas verantwortlich sein, über das ich keinerlei Kontrolle mehr hatte.
    Dies war der Anfang meiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Ideen: der Streit um die Frage, welche von ihnen man äußern sollte und welche man besser begräbt, verbrennt, vernichtet.
     
    Da Bruno und Dave Jugendstrafen hatten, fand man, es sei sicherer, wenn Terry Harry West besuchen und seine Erkenntnisse anschließend der Gang mitteilen würde. Eines frühen Morgens mitten im Winter begleitete ich Terry noch vor der Schule rauf zum Gefängnis. Mir lag viel daran mitzugehen, nicht nur, weil die Idee von mir stammte, sondern

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