Vatermord und andere Familienvergnuegen
Telepathie - wir Kriminellen sind seherisch begabt. Wir wissen, was kommt, noch ehe es passiert. Das müssen wir auch. Ist eine Überlebensstrategie. Messer, Kugeln, Fäuste - sie kommen ohne Vorwarnung. Alle wollen eure Namen auf einem Grabstein sehen, also immer wachsam, Jungs! Ist ein sauschweres Leben! Aber es kann sich bezahlt machen. Ihr wollt nicht einfach irgend so ein Müller-Meier-Schmitt sein. Ihr müsst nur aus dem Fenster gucken, und ich sage euch, was ihr da seht: eine Horde von Sklaven, die die Freiheit lieben und denken, sie hätten sie. Aber sie haben sich an irgendeinen Drecksjob gekettet oder sich einen Haufen Blagen ans Bein gebunden. Die sind genauso Gefangene, sie wissen es nur nicht. Und dazu verkommt auch die Unterwelt. Zur Routine! Zum Alltagstrott. Der ganzen Chose fehlt der Pep! Ideen! Chaos! Sie ist nach außen abgeschottet. Sie klammert sich ans Althergebrachte. Es passiert nie etwas Unerwartetes. Wenn ihr meinen Rat beherzigt, werdet ihr im Vorteil sein. Darauf sind sie nicht vorbereitet. Ihr könnt nichts Klügeres tun, als sie zu überraschen - das ist das Erfolgsrezept. Grips, Muckis, Mut, Blutgier, Raffsucht: alles gute, notwendige Eigenschaften. Aber Fantasie! Daran fehlt's in der Welt des Verbrechens. Guckt euch doch das Gängige an: Diebstahl, Raub, Einbruchsdiebstahl, Glücksspiel, Drogen, Prostitution. Soll das etwa innovativ sein?«
Terry und ich wechselten hilflose Blicke. Wir konnten diesen Redefluss nicht stoppen.
»Mensch, tut das gut, euch zwei Jungs zu sehen! Da fließt ja gleich wieder Pisse in meinen Adern. Ihr macht mir Hoffnung! Und das gerade, als alles so schal geworden war! Die Organisation liegt am Boden. Keiner will neue Ideen. Alle wollen bloß immer mehr von dem, was sie schon kennen, und sind selber ihre schlimmsten Feinde. Es ist ihre Gier - sie kriegen einfach den Hals nicht voll! Damit kommen wir zu meinem nächsten Tipp: Wenn ihr einigermaßen bescheiden bleibt, könnt ihr hundert werden. Holt euch so viel ihr braucht, damit ihr es gut habt, und genießt dann einfach ein Weilchen das Leben. Brennt lichterloh, und stellt dann euer Licht unter den Scheffel. Habt die Kraft, euer eigenes Feuer zu ersticken. Versteht ihr? Rückzug und Angriff! Das ist der Schlüssel zum Erfolg! Und arbeitet mit einer kleinen Truppe. Je größer die Mannschaft, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass einer davon euch verrät und im Dreck verrecken lässt. Und wisst ihr, warum? Weil jeder ganz oben mitspielen will! Jeder! Spielt nicht oben mit, haltet euch außen vor! Ja, richtig gehört. Sollen sich doch die anderen gegenseitig die Hölle heißmachen! Ihr zieht den Kopf ein und marschiert weiter. Nichts, meine großartigen, gesetzlosen Kinder, nichts ist wichtiger als das, was ich bereits sagte: Meidet die trügerische Erfolgsleiter! Das ist der beste Rat, den ich euch geben kann. Ich wollte, mir hätte das einer beigebracht, als ich in eurem Alter war. Dann säße ich jetzt nicht hier. Wenn ich nur geahnt hätte, dass mich die Ruhmsucht am Ende den Kopf kosten würde! Die Sprossen der Leiter sind Messerklingen!«
Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Was redete ich hier mit diesem Verrückten? Eigentlich hätte ich in der Schule sein sollen.
»Glaubt mir: Macht euch keinen großen Namen, bleibt so anonym wie möglich. Alle werden euch weismachen wollen, es käme auf die Reputation an - und genau das ist die Falle! Jeder will ein Capone, ein Nitti oder Squizzy Taylor sein. Alle wollen, dass ihr Name in der Welt noch lange nachhallt, so wie der von Ned Kelly. Ich kann euch sagen, dahin führt nur ein Weg: nämlich der, in einem Kugelhagel zerfetzt zu werden. Wollt ihr das? Bestimmt nicht. Es geht aber auch anders: Seid ihr bereit? Die Welt darf nie erfahren, wer von euch der Kopf ist. Das wird sie verunsichern. Damit spannt ihr sie auf die Folter. Seid eine führerlose Bande. Vermittelt ihnen den Eindruck, ihr wärt eine basisdemokratische Verbrechenskooperative! Das bringt sie aus der Fassung. Sie werden nicht wissen, wen sie eigentlich abknallen sollen. Meidet das Rampenlicht, Jungs! Bleibt gesichtslos! Seid praktisch nicht existent! Zeigt es diesen Clowns. Sollen sie spekulieren, aber lasst sie im Ungewissen. Das Paradoxe an der Welt des Verbrechens ist, dass man einen Ruf braucht, damit die Sache läuft, aber genau der Ruf ist es, der einen den Kopf kostet. Wenn ihr hingegen eine Geheimgesellschaft seid wie die Templer... wisst ihr, wer die Templer waren? Natürlich
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