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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Zweiersketch auf; der eine stellte die Fragen, der andere antwortete.
    »Wofür sind deine Hände da?«
    »Um Fäuste zu ballen.«
    »Wofür sind deine Beine da?«
    »Zum Treten.«
    »Und die Füße?«
    »Um Gesichter zu zermatschen.«
    »Finger?«
    »Würgen.«
    »Zähne?«
    »Beißen.«
    »Kopf?«
    »Kopfnüsse.«
    »Ellbogen?«
    »Kiefer brechen.«
    Et cetera.
    Sie lehrten ihn, den menschlichen Körper nicht bloß als Waffe, sondern als ganzes Waffenarsenal einzusetzen, und während sie dieses schmierige Evangelium in Terrys Kopf hämmerten, dachte ich über meinen eigenen Körper nach - ein Arsenal von Waffen, die nach innen gerichtet waren, gegen mich selbst.
    Wenn sie sich nicht gerade prügelten, dann stahlen sie - und zwar alles, was nicht niet- und nagelfest war. Sie klauten ausrangierte Autos, Schulbedarf, Sportartikel; sie brachen in Bäckereien ein und stahlen Brot, war kein Brot da, stahlen sie den Teig; sie brachen in Eisenwarengeschäfte ein und stahlen Hämmer, Leitern, Glühbirnen und Duschköpfe; sie brachen bei Metzgern ein und stahlen Würste, Fleischerhaken und Lammkeulen; sie klauten Briefmarken und noch nicht abgeholte Post auf Postämtern, brachen in Chinarestaurants ein und entwendeten Essstäbchen, Hoisin-Soße und Glückskekse, und an der Tankstelle klauten sie Eis und versuchten verzweifelt, es zu verkaufen, bevor es schmolz.
    Wenn man das Pech hatte, nach einem ihrer Beutezüge in der Nähe zu sein, musste man sich aufs Einkaufen einstellen. Ihre Verkaufstaktik war gewieft. Für Bruno und Dave blühte das Geschäft permanent, sie hatten eine Marktnische entdeckt: Kinder voller Angst.
    Und Terry war mit ganzem Herzen dabei, kroch durch Fenster und Lüftungslöcher und gelangte an schwer erreichbare Orte, während ich draußen stand und stumm betete, dass sie sich beeilten. Ich betete so inbrünstig, dass es wehtat. Im Lauf der Monate, während Terry Muskeln, Beweglichkeit und Nahkampftechniken entwickelte, ging es mit mir wieder bergab. Meine Eltern, die eine Rückkehr des alten Leidens befürchteten, riefen einen Arzt. Er war ratlos. »Sieht wie nervliche Zerrüttung aus«, meinte er, »aber weswegen sollte ein Zwölfjähriger nervlich zerrüttet sein?« Der Arzt studierte neugierig meine Kopfhaut. »Was ist mit deinen Haaren passiert?«, fragte er. »Sieht aus, als wären dir welche ausgefallen.« Ich zuckte die Achseln und blickte mich im Zimmer um, als suchte ich nach meinen Haaren. »Was hör ich da?«, stieß mein Vater hervor. »Er verliert sein Haar? Großer Gott, was für ein Kind!« Jedes Mal, wenn ich meinem Bruder bei einem Einbruch zusah, tat sich eine Pandorabüchse der Angst auf, und wenn es eine Schlägerei gab, war ich in heller Panik. Jeden Tag auf dem Heimweg flehte ich ihn an, Schluss damit zu machen. Ich war felsenfest davon überzeugt, ich würde meinen Bruder vor meinen Augen sterben sehen. Weil Terry so jung und so klein war, hatten Bruno und Dave ihn mit einem Kricketschläger bewaffnet, den er über seinem Kopf schwang, wenn er in Höchstgeschwindigkeit unter Kriegsgebrüll auf ihre Gegner zuhumpelte. Nur selten warteten die Widersacher ab, was er mit diesem Schläger anstellen würde, aber gelegentlich blieb einer stehen, und bei einer solchen Gelegenheit wurde Terry mit einem Messer aufgeschlitzt. Entsetzt stürzte ich mich ins Kampfgeschehen und zerrte ihn weg. Bruno und Dave munterten ihn mit ein paar Schlägen auf und schickten ihn dann blutend zurück ins Gefecht. Ich brüllte Protest, bis mir die Stimme versagte, danach kam nur noch Luft.
    Das waren keine Schulhofrangeleien mehr, das war ein Bandenkrieg. Ich betrachtete die wutverzerrten Gesichter dieser Knirpse, wenn sie sich mit Hurra in die Schlacht stürzten. Ihre Indifferenz Gewalt und Schmerz gegenüber war mir ein Rätsel. Mir fehlte jedes Verständnis für diese Wesen, die sich rasend vor Begeisterung gegenseitig zu Staub zermalmten. Und wie sie ihre Verletzungen bewunderten - es war unbegreiflich. Verzückt starrten sie ihre klaffenden Wunden an, wie Liebende, die sich nach langer Trennung wiederfinden. Es war bescheuert.
    Auch Caroline konnte sie nicht verstehen. Sie war wütend auf mich, weil ich zugelassen hatte, dass sich mein kleiner Bruder diesen Schlägern anschloss, gleichzeitig war sie froh, dass ich nun unter deren Schutz stand. Ihre Beschimpfungen ließen meine Wangen erglühen: Nichts bedeutete mir mehr als ihre Aufmerksamkeit. Ich bewunderte mich immer noch insgeheim für meine

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