Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
Sie riefen meinen Namen. Ich klammerte mich so fest an den Ast, dass ich mir sozusagen einen Ganzkörpersplitter einzog. Sämtliche Schüler wollten irgendwas von mir. Aber was? Was nur? Zwei von ihnen blieben unter dem Baum stehen, um zu verschnaufen, und ich schnappte auf, was los war: Bruno und Dave hatten mich hinter die Turnhalle zitiert. Wird aber auch Zeit, hörte ich die Schüler sagen. Wenn der Messerstich in Terrys Bein eine Ansage war, sollte ich womöglich das Ausrufezeichen dahinter werden. Konsens war, dass sie mich in meine Einzelteile zerlegen würden. Jeder wollte seinen Teil dazu beitragen.
    Dann erspähte mich ein Mädchen, und zwei Minuten später trug mich eine Menschenmenge auf den Schultern davon wie einen Volkshelden, doch in Wahrheit brachten sie ein Tier zum Schlachter. Sie sprangen herum wie junge Hunde, als sie mich Bruno und Dave auslieferten, die hinter der Turnhalle warteten. »Hier ist er!«, jubelten die Kinder und warfen mich unsanft zu Boden. Ganz langsam stand ich auf, nur so aus Spaß. Man hätte Eintrittskarten verkaufen können - es war die tollste Show in der Stadt.
    »Martin«, verkündete Dave laut, »wenn dich irgendwer... egal, wer... jemals... anrühren ... oder schlagen ... oder schubsen... oder auch nur schräg angucken sollte, dann sagst du mir das, und ich mach ihn kalt! Kapiert?«
    Hatte ich nicht. Die versammelte Menge auch nicht.
    »Von jetzt an stehst du unter Schutz, okay?«
    Ich sagte Okay.
    Die Meute war verstummt. Dave drehte sich um und fragte: »Hat irgendwer 'n Problem damit?«
    Keiner hatte ein Problem damit. Sie wanden sich wie Würmer am Haken.
    »Schön.« Dave wandte sich wieder mir zu. »Kippe?« Ich rührte mich nicht. Er musste mir die Zigarette in den Mund stecken und anzünden. »Jetzt inhalier.«
    Ich inhalierte und musste heftig husten. Dave klopfte mir jovial auf den Rücken. »Du bist in Ordnung, Kumpel«, sagte er mit breitem Grinsen. Dann zog er ab. Die Menge war verblüfft, keiner rührte sich. Ich mühte mich, mein inneres Gleichgewicht zu wahren. Ich hatte eine Abreibung erwartet und nicht meine Rettung. Von nun an war ich eine geschützte Spezies. Das pumpte mich auf wie einen Kugelfisch. Ich wandte mich der konfusen Meute zu und bot ihr ein Blickduell an. Alle senkten den Blick, bis zum letzten Auge.
    Der achtjährige Terry Dean hatte seinem zwölfjährigen Bruder zuliebe einen Pakt mit den Teufeln geschlossen, und das hat mir die Haut gerettet. Am einen Tag hatte er mit ansehen müssen, wie ich mich hinter Mülltonnen versteckte, am anderen, wie ich die Tortur ertrug, ignoriert zu werden, also hatte Terry - loyaler Bruder, der er war - einen Deal vorgeschlagen: Wenn sie mir Schutz anboten, würde er sich ihrer bekloppten Bande anschließen. Er schlug vor, bei ihnen in die Lehre zu gehen, quasi die Schlägerausbildung zu absolvieren. Wer weiß, warum sie darauf eingegangen waren? Vielleicht gefiel ihnen sein Mumm. Vielleicht hatte sie die Dreistigkeit seines Vorschlags verunsichert. Was auch immer ihr Beweggrund gewesen sein mochte: Als sie Terry aufforderten, ein kleines Memo über die Vereinbarung mit seinem eigenen Blut zu verfassen, zückte er ohne zu zögern sein Stanley-Messer, setzte den Schnitt und schrieb. Der Pakt war geschlossen, in Rot auf Weiß.
    Und das war der frühzeitige Eintritt meines Bruders in die Welt des Verbrechens. Während der nächsten Jahre war Terry nach der Schule ständig mit Bruno und Dave zusammen, und da er noch zu klein war, um wie sie stundenlang sich selbst überlassen zu sein, musste ich mitkommen. Zuerst wollten die Zwillinge mich zwingen, allerlei für sie zu erledigen, aber weil Terry darauf bestand, durfte ich unter einem Baum sitzen und lesen, selbst während der Schlägereien. Und Schlägereien gab es ständig. Die Bande konnte nicht gut schlafen, wenn sie nicht im Lauf des Tages irgendwem die Zähne eingeschlagen hatte. Wenn sie alle potenziellen Kandidaten in unserem Ort erledigt hatten, pflegte Bruno den Landrover seines Vaters zu stehlen und sie zum Fressepolieren in die umliegenden Ortschaften zu chauffieren. Es gab massig Kids, gegen die man kämpfen konnte. Jede Ortschaft hat ihre Schlägertypen, eine neue Generation zukünftiger Knastbrüder.
    Jeden Nachmittag brachten sie Terry bei, wie man kämpft. Sie hatten eine umfassende Lehre entwickelt, die auf Gewalt und Kampf basierte, und während Terrys Fäuste sich zu knochigen Ziegelsteinen ausformten, führten Bruno und Dave einen

Weitere Kostenlose Bücher