Vatermord und andere Familienvergnuegen
weil ich noch nie oben in dem Palast (wie das Gefängnis bei uns zu Hause oft genannt wurde) gewesen war, den mein Vater erbaut hatte.
An ebenjenem Tag war es vom Ort aus gar nicht zu sehen. Dicker Nebel hatte den halben Hügel verschluckt und schob sich uns entgegen, als wir ihn erklommen. Als wir die Hälfte geschafft hatten, ragte eine Nebelwand direkt vor uns auf. Wir gingen mitten hinein in die Suppe. Gute zwanzig Minuten lang konnten wir nichts mehr erkennen. Es hatte geregnet, was den Aufstieg noch erschwerte, und die ungepflasterte Serpentinenstraße zum Gipfel hatte sich in einen Schlammfluss verwandelt. Den ganzen Weg nach oben verfluchte ich mich selbst. Ich und meine große Klappe!
Als wir die schweren Tore des Gefängnisses vor uns aus dem Nebel auftauchen sahen, überlief mich ein kalter Schauer. Terry grinste optimistisch. Warum hatte er keine Bedenken? Wie kann ein und dieselbe Situation bewirken, dass sich dem einen vor Sorge der Hals zuschnürt und der andere heiter und gut gelaunt ist?
Auf der anderen Seite des Tors stand ein einsamer Wachposten. Er guckte neugierig, als wir uns an die Gitterstäbe lehnten.
»Wir möchten Harry West besuchen«, sagte ich.
»Und wen soll ich melden?«
»Martin und Terry Dean.«
Der Wachmann musterte uns misstrauisch. »Seid ihr mit ihm verwandt?« »Nein.«
»Warum wollt ihr ihn dann sehen?«
»Ein Schulprojekt«, sagte Terry und zwinkerte mir verstohlen zu. Ein Windstoß riss den Nebel auf, und wir erblickten dicht vor uns das Gefängnis. Von Nahem schien es gar nicht mehr die Trutzburg zu sein, die man von der Stadt aus sah. Es bestand auch nicht nur aus einem Gebäude, sondern aus vier gleichen roten Backsteinblöcken, so langweilig und hässlich wie unsere Schule, und ohne den Drahtzaun davor hätte es so unauffällig ausgesehen wie ein x-beliebiges Regierungsgebäude.
Der Wachmann beugte sich vor und presste seinen Kopf an das kalte Gitter. »So, so, Schulprojekt. In welchem Fach?«
»Heimatkunde«, erklärte Terry.
Die Wache kratzte sich lustlos am Kopf. Ich hatte den Eindruck, die Reibung auf seiner Kopfhaut warf sein Gehirn an wie einen Außenbordmotor.
»Na schön.«
Er schloss das Tor auf, das sich mit einem schauderhaften Geräusch öffnete. Ich gab ein ebenso schauderhaftes Geräusch von mir, als Terry und ich das Gefängnisgelände betraten.
»Folgt dem Weg, bis ihr zum nächsten Posten kommt«, sagte der Wachmann hinter uns.
Wir bewegten uns langsam. Zwei hohe, mit Stacheldraht bekränzte Zäune säumten den Weg zu beiden Seiten. Hinter dem Zaun zur Rechten befand sich ein betonierter Hof mit Gefangenen, die sich lethargisch durch den Nebel kämpften. In ihrer blauen Drillichkleidung schwebten sie wie blaue Gespenster durch eine Schattenwelt.
Wir erreichten das zweite Wachhäuschen. »Wir wollen Harry West besuchen.«
Die traurige, müde Miene des bärtigen Wachmanns verriet uns, dass er sich unterbezahlt und unterschätzt fühlte und dass ihn seit mindestens einem Jahrzehnt keiner mehr in den Arm genommen hatte. Er versenkte seine Hände in meinen Taschen und wühlte darin herum, ohne uns auch nur Guten Tag zu wünschen. Auch in Terrys Taschen verschwanden seine Hände. Terry kicherte.
Als die Wache fertig war, sagte sie: »Okay, Jim, lass sie rein.«
Aus dem Nebel trat ein Mann. Jim. Wir folgten ihm ins Gefängnis. Der Nebel folgte uns. Er war überall, wehte durch die vergitterten Fenster und kroch durch die schmalen Flure. Wir wurden in den Besucherraum geführt, die Tür stand offen.
»Wartet hier.«
Abgesehen von einem langen Tisch mit Stühlen auf beiden Seiten, war der Raum leer. Wir setzten uns nebeneinander und erwarteten, dass Harry West uns gegenüber Platz nehmen würde, aber ich machte mir Sorgen. Was, wenn er sich entgegen unserer Erwartung neben uns setzte und wir dann alle dasitzen und die Wand anstarren würden?
»Lass uns wieder abhauen«, sagte ich.
Bevor Terry antworten konnte, kam Harry West herein und stierte uns finster von der Tür her an. Seine Nase sah aus, als wäre sie eingeschlagen, gerichtet und dann wieder eingeschlagen worden. Das war ein Gesicht, das eine wahre Geschichte zu erzählen hatte, eine Geschichte von Fäusten. Als er näher kam, bemerkte ich, dass er wie Terry (und ich früher auch) stark hinkte. Er zog sein Bein wie einen schweren Koffer hinter sich her. Du hast vielleicht schon mal gesehen, wie manche Tiere ihren Anus über den Boden schleifen, um das Terrain zu markieren. Also, mir
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