Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Saal sang und spielte er wie immer, doch jetzt wusste ich, dass er jeden meiner Schritte beobachtete. Immer wenn ich aufsah, blickte ich ihm in die Augen.
Lisette hatte sich erkältet, ein Umstand, der sie im Saal entschuldigte. Ich schenkte jede Nacht Wein aus. Es waren an die fünfzig Männer anwesend, die sich lärmend oder gelangweilt im Saal aufhielten. Meiner Meinung nach gibt es nichts Schlimmeres als kleine Kinder, Hunde und Männer, die nicht an die frische Luft kommen. Sie werden unausstehlich, reizbar, albern und alles in allem unerträglich. Genauso verhielt es sich bei uns. Almadars Männer waren unruhig. Sie wollten nach Hause. Aber es war noch zu früh im Jahr, was die Reise nach Spanien gefährlich machte. Man entschloss sich, nach den letzten Frösten zu reiten, aber es wollte nicht wärmer werden. Ich lauschte auf alle Gespräche, allerdings erfuhr ich nichts Neues.
Salvador kam, wenn alle zu Bett gegangen waren. Sein offizieller Grund war, zu erfahren, ob ich irgendetwas Neues herausgefunden hätte – sein inoffizieller, sich einen Kuss zu stehlen. Ich sehnte mich schon bald nach seinen kurzen Visiten. Lisette schlief bereits seit dem frühen Abend, darum durften Salvadors Besuche nicht allzu lange dauern. Lisette hätte jeden Moment aufwachen können. Gerade, dass die Besuche in aller Heimlichkeit und in Eile waren, machten sie aufregend. Wenn er schon lange wieder weg war, lag ich auf meinem Bett und konnte nicht schlafen. Mein Herz klopfte mir bis in den Hals hinauf.
Der Tag der Abreise nahte. Das merkte ich an einer gewissen Unruhe, die alle überkam. Die Männer kümmerten sich um ihr Gepäck und ihre Pferde. Der Graf brüllte auf dem Hof und mit seinem Verwalter. Die Kisten, in denen sich die Aussteuer meiner Schwester befand, wurden geschlossen. Zu jeder Kiste gehörte eine Aufstellung, in der der Inhalt und dessen Wert vermerkt waren. Da niemand außer mir, dem Pfarrer und dem Verwalter schreiben konnte, war es an mir, diese Verzeichnisse zu verfassen. Ich hatte sie ein wenig verändert. Der Herr möge verzeihen, dass ich sein siebtes Gebot gebrochen habe, doch wir brauchten das Geld für die Flucht.
Salvador hatte mir zwar erklärt, dass er genug Geld für uns alle besäße, doch mir war es lieber, ein wenig Selbstständigkeit zu bewahren. Nach wie vor ging es mir nicht in den Kopf, warum sich der Sohn eines Edelmanns als Sänger verdingte.
»Warum hast du uns alle angelogen?«, fragte ich ihn, als er mich zur gewohnten Zeit besuchte.
»Aber ich habe nicht gelogen.« Er grinste frech. »Kann ich vielleicht nicht singen? Singe ich nicht jede Nacht bis zum Umfallen, bis mir meine Stimme versagt?«
»Du bist der Sohn eines Edelmanns, Salvador Sanchez de Segura.« Ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen.
»Und du wirst meine wunderschöne Doña. Lucienne de Viellvient de Segura.« Er küsste mir übermütig die Hand.
»Wie kommst du dazu, durch Frankreich zu vagabundieren? Du bist ein Spanier, du bist kein Sänger und doch …«
»Ich hatte mich mit meinem Vater überworfen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich auch ohne sein Geld und seine Protektion auskomme.«
»Aber warum in Frankreich?«
»Vater schickte mich hierher. Der Sprache wegen. Zunächst reiste ich ziellos durch die Gegend und wusste nichts Rechtes mit mir anzufangen. Gerade, als ich begann, meine eigenen Interessen zu entdecken, ließ er mich rufen.«
»Bist du zurückgekehrt?«
»Ja, ich kehrte nach Hause zurück, mit dem festen Willen, ihn von meinen Plänen zu überzeugen. Ich wollte studieren. Er lachte mich aus. Wir stritten uns. Ich sollte lernen, wie man ein Gut führte, und mir ein Weib suchen.«
»Wenigstens das hast du jetzt.« Ich gab ihm einen raschen Kuss. »Aber was hat dich daran gestört?«
»Nun, ich sollte sein Leben führen, aber ich hatte in Frankreich die Freiheit kennengelernt. So schnell wollte ich die nicht aufgeben. Ich sagte ihm auf den Kopf zu, dass ich seine Art des Lebens nicht wollte. Er schmiss mich raus.«
»Was hast du dann gemacht?«
»Nun, es gibt zwei Arten, wie sich jemand wie ich verdingen kann.« Salvador machte eine bedeutungsvolle Pause. »Man kann gegen die Mauren kämpfen. Nun, zum Kämpfen bin ich nicht geschaffen. Ich bin mehr der Mann des Geistes.« Er seufzte theatralisch und grinste. »Oder man kann singen, und das kann ich schließlich wirklich.«
»Ein bisschen.« Ich zog ihn gern damit auf, ob er singen könne, seitdem ich wusste, wer er wirklich
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