Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Nähe befand, hörte ich ihren Herzschlag. Ich gab mir Mühe, ihn zu überhören, da er mich erregte und ich mich noch allzu genau an Schwester Theresas Worte erinnerte, dass ich eine Gefahr für die Menschheit sei. Ich wollte niemanden etwas zuleide tun.
So verbrachte ich meine Nächte in der Bibliothek, wenn ich nicht mit Lisette in der jungen Nacht umherwandelte. Das Einzige, was mir die Nächte im Kloster verdüsterte, war, dass wir auf die Antwort unseres Onkels warten mussten.
Auch de Segura wurde unruhig. Er hatte vier Wochen Buße getan für Taten, die er nicht wirklich bereute, und wollte heim. Schwester Theresa handelte wie immer: rasch und kompetent. Sie bestimmte, dass Lisette nach Dos Campanilles abreisen würde. Allerdings in Begleitung einer Nonne, die dem Mädchen weiblichen Schutz garantierte. Dann erklärte sie Lisette und de Segura, dass ich im Kloster bliebe, da meine Gesundung zu wünschen übrig ließ. Sie hatte recht, sie hatte es mir deutlich genug gesagt, doch ich war tief betrübt. Ich wollte nicht im Kloster bleiben. Ich war jung, ich wollte leben. Der Abschied nahte und ich fühlte mich wie lebendig begraben.
Lisettes Abschied war tränenreich. »Wenn es dir besser geht, kommst du so schnell wie möglich nach.« Ich versprach es ihr an die hundert Mal. Sonst gab es nicht viel zu bereden. Wir versicherten uns noch, so oft wie möglich zu schreiben. Nachdem sie gegangen war, ließ ich mich auf mein Kissen sinken und weinte. Weinte tränenlos um mein Leben, um Salvador, um Lisette, um Louis und die ganze Welt.
Trotz meines guten Gehörs war Schwester Theresa unbemerkt in mein Zimmer getreten. Ich nahm sie erst wahr, als sie mir die Haare aus dem Gesicht strich. Ich rappelte mich auf und griff nach den Schriften, die ich mit aufs Zimmer genommen hatte, doch sie schüttelte den Kopf und nahm sie mir aus der Hand.
»Wir wollen uns heute Abend freinehmen«, sagte sie und bedeutete mir, mitzukommen. Ich folgte ihr schweigend und wagte nicht, zu fragen, wohin wir gingen. Sie tat so geheimnisvoll, als wir durchs Kloster liefen, das dunkel und still dalag. Allein der Wind machte Geräusche, als er sanft durch den Kreuzgang blies. Schwester Theresa führte mich zur Pforte, schloss sie auf und gab mir ein Zeichen, mich zu beeilen. Ihr Herz schlug schnell, ich konnte es hören, als wäre es meines. Rechts von der Pforte erkannte ich einen steinigen Pfad, der sich hinter dem Kloster bergauf schlängelte. Schwester Theresa zögerte keinen Augenblick und bog in den Pfad ein. Staunend lief ich hinter ihr her. Der Mond stand, wenn auch nicht voll, am Himmel und spendete uns ein wenig Licht. Eine neue Fähigkeit offenbarte sich mir. Ich brauchte kein Licht und konnte alles deutlich sehen, als wäre es Tag. Auch wenn ich es mir noch nicht wirklich eingestehen wollte, ich war ein Kind der Nacht geworden. Ich seufzte. Schwester Theresa drehte sich um. »Ist dir der Weg zu steil?«
»Nein, nein.« Noch etwas Neues: Es gab keine Anstrengung mehr für mich. Ob ich ebenerdig ging oder wie jetzt steil bergauf, es machte für mich keinen Unterschied. Wir stiegen schweigend weiter. Ich war gespannt, wohin uns dieser Weg führen würde. Zunächst genoss ich die Landschaft. Nach Wochen hinter Klostermauern war die Luft berauschend. Ich hörte die Stimmen der Nacht – die der kleinen Tierchen und der Nachtvögel. Ich war eins mit dem Element, in dem ich nun zu Hause war. Als wir am Gipfel ankamen, war ich regelrecht erfüllt.
Schwester Theresa atmete angestrengt und ließ sich erschöpft auf einen Baumstamm fallen.
Ich streckte die Arme in die Luft, als ob ich die Welt umarmen wollte, und war glücklich. Das erste Mal seit Wochen, und das, obwohl Lisette in der Früh abreisen würde und ich sie noch nicht mal verabschieden konnte. Dieser Gedanke dämpfte meinen Freudentaumel ein wenig und ich setzte mich neben Schwester Theresa.
Sie lächelte mich durch ihr Keuchen an. »Wenn sich jemand so über die Natur und Luft freuen kann, dann kann er nicht des Teufels sein. Natur und Luft sind Gaben Gottes.« Sie machte eine Pause, schnappte nach Atem und ich gab ihr die Zeit, weil ich sie kannte und wusste, dass sie noch mehr zu sagen hatte.
»Jeden Tag, an dem ich dich beobachte, wie du dir Mühe gibst in allem, was du anfängst, wie du es verstehst, mit deinem harten Los umzugehen, freue ich mich aufs Neue, dir dabei helfen zu dürfen.« Sie drückte meine Hand, stand auf und winkte mir, es ihr gleichzutun. Ich trat
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