Vatikan - Die Hüter der Reliquie (German Edition)
Mitschwester oder irgendeinem Menschen etwas antun wollen, schwöre ich dir, werde ich dich töten.«
Ich sah die Oberin entgeistert an. Wieso sollte ich irgendjemanden etwas antun wollen? Ich holte tief Luft, doch sie hielt mich abermals zurück.
»Ich weiß, wie verrückt das alles klingt, aber lass dir eine Sache zeigen, damit ich dir deinen Zustand begreiflich machen kann.«
Was blieb mir übrig? Neugierig sah ich zu, wie sie ein Fläschchen aus der Tasche zog. »Das ist Weihwasser, Lucienne.« Ich nickte. Sie tropfte sich ein wenig davon in die Handfläche. Ich fragte, was sie mir damit beweisen wollte, als sie mich aufforderte, es ihr gleichzutun. Sie sah mir fest in die Augen und gab nur einen Tropfen in meine Handinnenfläche. Ich zog meine Hand mit einem Ausruf des Schmerzes und des Erstaunens zurück. Der Geruch verbrannten Fleisches stieg mir in die Nase.
»Glaubst du mir jetzt, Lucienne?«
Ich starrte abwechselnd sie und meine Hand an. Früher hatte ich jeden Morgen meine Finger mit Weihwasser benetzt. Ich verstand es nicht.
»Ich werde dir jetzt erzählen, was ich den alten Schriften entnommen habe. Es sind sehr alte Bücher und sie sind nicht leicht zu lesen, aber es reichte, um meinen Verdacht zu bestätigen. Du bist ein Kind der Nacht geworden, ein Vampyr.«
Wieder wollte ich ungläubig den Kopf schütteln, doch ein Blick in meine Handinnenfläche ließ mich demütig werden. Es war nichts mehr von der Verbrennung zu sehen. Weiß und glatt leuchtete mir das bereits geheilte Fleisch entgegen.
Schwester Theresa berichtete mir im sachlichen Ton, dass ein Vampyr nie das Sonnenlicht sehen darf, da es nur den Kindern Gottes überlassen war. Von Blutdurst war die Rede und davon, dass sich die Vampyre vom Blut Lebender ernährten.
Es schüttelte mich, als ich das hörte. »Niemals! Das ist ja widerlich!«
Schwester Theresa bedachte mich mit einem mitleidigen Blick. »Ruhig, Kind. Das Wichtigste ist zunächst, dass du mir glaubst, und lernst, dich damit abzufinden. Und …«, sie sah mich ernst, nein geradezu streng an, »und dass du mir schwörst, bei allen Heiligen – nein, besser bei Lisettes Leben, dass du keinem Menschen etwas zuleide tust.«
Ich schwor bei Lisettes Leben und allen Heiligen.
Schwester Theresa seufzte. »Wir werden uns eine Menge Ausreden einfallen lassen müssen.« Dann ließ sie mich mit tausend neuen Fragen allein. In dieser Nacht konnte ich keine beantworten. Als die Sonne ihr erstes Licht schickte, schlief ich ein.
Gleich nach dem Aufwachen, bemerkte ich Veränderungen im Zimmer: Dicke Vorhänge hingen vor den Fenstern, das Kreuz war aus der Ecke verschwunden – ich entdeckte es wenig später an der Tür. Ich wunderte mich, dass ich von den Arbeiten nichts mitbekommen hatte. Mein Schlaf war immer leicht gewesen und allein das Aufhängen der Vorhänge, die mit Nägeln befestigt waren, hatte sicher Lärm gemacht.
Lisette besuchte mich und fragte, ob es mir recht sei, Salvadors Vater zu empfangen. Es war mir nicht recht, ich hatte Angst vor dieser Begegnung, aber mir fiel keine Ausrede ein. Kurze Zeit später klopfte Jose Arco de Segura an. Wie hatte ich nur einen Moment fürchten können, er würde mir Vorwürfe machen? Ganz im Gegenteil: Er nahm mich in die Arme wie eine Tochter. »Was hat man Euch angetan, Kind!« Er betrachtete mich und meine Umgebung und ich war froh, dass er mit keiner Antwort zu rechnen schien. Was hätte ich auch erwidern sollen?
Er stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und ließ den Kopf hängen. »Es ist meine Schuld. Ich hätte Salvador eine Eskorte mitgeben sollen. Aber er war so zuversichtlich, so stolz.« De Segura verstummte, hob den Kopf und sah Richtung Fenster. Ich bekam dadurch die Möglichkeit, ihn genauer zu betrachten. Die Ähnlichkeit mit Salvador war frappierend. Sicherlich hätte Salvador in ein paar Jahren genauso ausgesehen. Einzig der bittere Zug um de Seguras Mund unterschied sich von ihm.
Sein Schweigen machte mich nervös. »Es ist allein meine Schuld«, sagte ich. »Wenn er mich nicht kennengelernt hätte, wäre er noch am Leben.«
De Segura drehte sich auf dem Absatz zu mir herum. »So darfst du nicht denken. Durch dich habe ich meinen Sohn zurückbekommen.«
Ich verstand, was er meinte, aber seine Großherzigkeit, erstaunte mich. »Ja, aber ohne meinen Vater …«, sagte ich kleinlaut.
»Für dessen Handeln du nicht verantwortlich bist.« Er schnitt mir das Wort ab und wechselte das Thema. »Ich habe
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