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Venedig sehen und stehlen

Venedig sehen und stehlen

Titel: Venedig sehen und stehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krischan Koch
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ein unangenehmes Jucken. Statt sich weiter schwitzend und humpelnd an den Andenkenläden vorbei über die Brücke zu schleppen, wollte er das Traghetto am Campo San Sofia nehmen, eine öffentliche Gondel, die Passanten für wenige Lire über den Canal Grande setzte. Sollte er sein Gipsbein einfach mal kurz abnehmen? Nur solange er sich hier im Schutz des Touristenstromes bewegte? Nein, das war zu riskant. Ohne Gipsbein durfte ihn niemand sehen. Dann wäre der ganze schöne Plan dahin.
     
    Bis auf die kleine Bootstour eben hatte doch alles perfekt geklappt. Zoes Idee mit dem Gips hatte sich hervorragend bewährt. Die Vorbereitungen für den Raub des Miró und vor allem der Giacometti-Figur waren sehr viel aufwendiger gewesen als bei seinem ersten Kunstcoup. Zoe und er hatten die Örtlichkeiten im Guggenheim-Museum am Canal Grande sorgfältig ausgekundschaftet, die Abläufe ganz genau geplant. Gott sei Dank war er mit Zoe wieder im Reinen. Sie hatten sich versöhnt nach seinem Ausrutscher. Aber damit schien die Affäre noch nicht erledigt zu sein. Dabei war es doch nur diese eine Nacht auf der Giudecca gewesen. Sollte sich das jetzt doch noch als verhängnisvolle Affäre entpuppen? Harry hatte damit abgeschlossen, aber ob Francesca das auch so sah? Die Dame hatte schon ein erstaunliches Temperament. Das hatte Harry in dieser stürmischen Nacht auf der Giudecca erfahren. Und schließlich hatten sie die rassige Franca ja auch ziemlich clever in ihren Plan integriert. Sollte sich das jetzt rächen? Auf jeden Fall musste er sich um Zoe kümmern.
    Wenn nur dieses verfluchte Jucken unter dem Gips nicht wäre. Aber das war sehr schnell nebensächlich. Denn plötzlich sah er die dicke blaue Uniform mit den roten Streifen die Stufen eines sich elegant über den Kanal schwingenden Ponte alles andere als elegant herunterpoltern. Hatte er Harry überhaupt schon bemerkt? Harry überlegte nicht lange und versuchte in der sächsischen Reisegruppe unterzutauchen.
    »Nichts passiert«, sagte Harry, als die Frau mit der Dauerwelle und dem roten Herz ihm auf seinen Gipsfuß trat.
    »Ach, Sie gomm ooch aus Deutschland. Mir gomm ausm Osten. Mir sin zum erschdn Mal in Venedisch.«
    Eine andere Dauerwelle in Regenjacke war weniger zutraulich: »Muddi, pass auf, die Dasche.«
    Harry lächelte bemüht und versuchte zwischen DDR-Jeansjacke und »I-love-Venice«-Shirt in Deckung zu gehen.
    »Mir sin aus Pirna, das is bei Dräsdn, ä Stickl de Älbe nuff«, sagte der Hänfling.
    So genau wollte Harry es im Augenblick gar nicht wissen. Unterdessen war der schwitzende Ispettore mit dem kleinen Schnurrbart bedrohlich näher gekommen. Harry hatte das Gefühl, dass er entdeckt worden war. Der Knirps in der Jeansjacke bot keine ausreichende Deckung mehr.
    Harry stürmte humpelnd los, ein Stück die Strada Nova hinunter und dann in ein Gassen- und Kanälelabyrinth hinein. Stellenweise war an den Touristenknäueln kaum vorbeizukommen. Es gab auch eine farmacia. Aber von Zoe nichts zu sehen.
    Fast hätte Harry sich in den Henkeln eines falschen Louis-Vuitton-Täschchens eines afrikanischen Straßenverkäufers verheddert. Wenn er sich umdrehte, tauchte hinter ihm im Touristengewimmel immer mal kurz die blaue Uniform auf. Aber einige Meter Vorsprung hatte er noch.
    Ruga due Pozzi, Calle Zotti, Campo dei SS Apostoli. Die auf die Hausecken gemalten Namen, die Hinweisschilder auf RIALTO oder den Bahnhof, FERROVIA, mit abgeknickten Pfeilen darunter, flogen ebenso wie die Geräuschfetzen an ihm vorüber. »Look here! Beautiful« – »Subarashi« – »Unbelievable! «
    Die Schaufenster in den engen Gassen quollen über von Plastikgondeln mit Innenbeleuchtung, einem wahren Horrorkabinett von Muranoglasfiguren und immer wieder Masken, Masken, Masken. Es muffelte aus den Sielen und nach Touristenpizza zum Mitnehmen.
    Harry lief, so schnell er konnte. Er musste diesen Polizisten abhängen. Ihm lief der Schweiß jetzt in Strömen über das Gesicht und unter seinem Shirt fühlte er das Wasser herunterlaufen. Sein Gesicht musste knallrot sein. Aber sein Oberkörper fühlte sich durch den Luftzug beim Laufen stellenweise fast kühl an. Calle – Campiello – Rio – die einzelnen Worte der längeren Straßennamen gerieten im Vorbeihetzen durcheinander. Parrocchia, Sottoportego. In seinen Augenwinkeln verwischten die Buchstaben wie auf einem unscharfen Foto.
    Sottoportego? War das nicht so etwas wie ein Durchgang? Viele dieser kleinen Gassen endeten im Nichts. Harry

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