Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venetia und der Wuestling

Venetia und der Wuestling

Titel: Venetia und der Wuestling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgette Heyer
Vom Netzwerk:
Gentleman erzogen wurde!"

5. KAPITEL
    Venetia öffnete die Augen in dem von den Chintzvorhängen gedämpften Sonnenlicht. Einige Minuten lang lag sie zwischen Schlafen und Wachen da und wurde sich, zunächst vage und dann immer stärker, eines Wohlbehagens und einer Erwartung bewusst, so wie sie in ihrer Kindheit erwacht war, wenn sie wusste, dass der Tag einer versprochenen Freude heraufdämmerte. Irgendwo im Garten sang eine Drossel, und die freudige Süße ihrer Töne war so sehr im Einklang mit Venetias Stimmung, dass der Gesang ein Teil ihres Glücklichseins zu sein schien. Eine Weile gab sie sich damit zufrieden, froh, dem Vogel zuzuhören, ohne sich nach der Quelle ihrer beider Glück zu fragen. Gleich darauf aber wurde sie hellwach und erinnerte sich daran, dass sie einen Freund gefunden hatte.
    Sofort schien ihr Blut schneller in den Adern zu kreisen; ihr Körper fühlte sich leicht und voll Leben, und eine seltsame Erregung, die ihr ganzes Wesen wie ein Elixier durchströmte, machte es ihr unmöglich, still zu liegen. Kein Laut außer dem Vogelgesang drang an ihre Ohren, Stille umschloss das Haus. Sie dachte, es müsste sehr früh sein, drehte den Kopf zur Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Es gelang ihr nicht. Das Sonnenlicht, gefleckt durch das Chintzmuster, quälte ihre Augenlider; sie schlug die Augen auf und gab einer Eingebung nach, die beharrlicher war als Vernunft. Ein neuer Tag, lebendig mit neuer Verheißung, machte sie prickeln; das Trillern der Drossel wurde Verlockung und Befehl. Venetia schlüpfte aus dem drückend weichen Federbett, ging schnell und federnd zum Fenster, schlug die Vorhänge zurück und warf die Fensterläden auf.
    Ein Fasan, der über den Rasen schritt, erstarrte einen Augenblick, den Kopf hoch erhoben auf dem schimmernden Hals, und ging dann, als wüsste er, dass er noch ein paar Wochen lang sicher war, wieder würdevoll weiter. Der Herbstnebel hob sich aus den Mulden; dichter Tau glitzerte auf dem Gras, und den Himmel verschleierte ein leichter Dunst. In der Luft lag ein Frösteln, das einen selbst in der Sonnenwärme erschauern ließ, aber es würde wieder ein heißer Tag werden, ohne eine Spur Regen und mit einem so leichten Wind, dass er die vergilbenden Blätter nicht von den Bäumen flattern lassen würde.
    Jenseits des Parks, über den Heckenweg hinweg, der Un-dershaw im Osten abschloss, jenseits der weiten Schonungen des Gutes lag die Priory - nicht allzu weit in der Luftlinie, aber die Straße entlang eine Fahrt von fünf Meilen. Venetia dachte an Aubrey, ob er wohl in der Nacht geschlafen hatte, ob sie sich noch viele Stunden würde vertreiben müssen, bevor sie wegfahren konnte, um ihn zu besuchen. Und dann wusste sie, dass es nicht Besorgnis um Aubrey war - ihr wichtigstes Anliegen so viele Jahre hindurch -, was sie ungeduldig machte, die Priory zu erreichen, sondern der heiße Wunsch, bei ihrem Freund zu sein. Es war sein Bild, das Aubreys Bild aus ihrem Geist verdrängte und ihr eine so glühende Wärme schenkte. Sie fragte sich, ob auch er es so spürte, ob auch er wach war, vielleicht aus seinem Fenster schaute, wie sie aus dem ihren, an sie dachte, hoffte, dass sie bald wieder bei ihm sein würde. Sie versuchte, sich an das zu erinnern, was sie miteinander gesprochen hatten, aber es gelang ihr nicht. Sie erinnerte sich nur, dass sie sich bei ihm vollkommen daheim gefühlt hatte, als hätte sie ihn schon ihr ganzes Leben lang gekannt. Es erschien ihr unmöglich, dass er die Sympathie zwischen ihnen beiden nicht genauso stark gefühlt haben sollte wie sie. Aber als sie eine Weile nachgedacht hatte, erinnerte sie sich, wie verschieden ihre Lebensumstände voneinander waren, und erkannte, dass das, was für sie ein neues Erlebnis war, für ihn sehr gut nicht mehr als die Variation eines alten Themas bedeuten könnte. Er hatte viele Frauen geliebt. Vielleicht hatte er auch viele Freunde gehabt, deren Gemüt mehr auf seines abgestimmt war als das ihre. Das bekümmerte sie mehr, als seine Liebschaften es taten. Seine Liebesaffären kümmerten sie so wenig wie seine erste Begegnung mit ihr. Die hatte sie verärgert, aber sie hatte sie weder entsetzt noch ihren Abscheu erregt. Die Männer - man sehe sich die ganze Geschichte an! - unterlagen plötzlich aufwallenden Lüsten und Gewalttätigkeiten, Angelegenheiten, die seltsam von Herz oder Kopf getrennt zu sein schienen und oft noch seltsamer getrennt von dem, was bestimmt ihr wahrer Charakter war. Für die

Weitere Kostenlose Bücher