Venezianische Versuchung
nicht das geringste Interesse daran, sich mit den Gründen für die Eheschließungen auseinanderzusetzen. Er war von vornherein davon überzeugt, dass nur er wusste, was Mary und Diana glücklich machte.
Verflixt, er war nicht einfach nur ein Duke, der es gewöhnt war, Verantwortung zu tragen und Entscheidungen zu treffen! Er war ein Tyrann! Und es war höchste Zeit, dass jemand ihm klarmachte, wie ungerecht er sich gegenüber seinen Töchtern und deren Gatten verhielt!
Jane warf die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett, wickelte sich in ihr Umschlagtuch und tastete nach den beiden säuberlich verschnürten Briefbündeln. Sie wollte dem Duke ihre Vorwürfe entgegenschleudern, ehe ihre Entschlossenheit nachließ. Also hastete sie durch das dunkle stille Haus, bis sie vor dem Zimmer stand, in das Signora della Battista den Neuankömmling geführt hatte. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hob sie die Hand und klopfte.
Nichts rührte sich. Plötzlich spürte Jane, wie kalt der Marmorboden unter ihren nackten Füßen war. Ehe sie allen Mut verlor – das begriff sie in diesem Augenblick –, musste sie noch einmal klopfen, und zwar so laut wie möglich. Selbst wenn es ihr lediglich gelang, Wilson oder Potter zu wecken, so konnte sie doch mit etwas Glück ihr Ziel erreichen. Sie würde laut und deutlich vorbringen, was sie zu sagen hatte, und hoffen, dass man es dem Duke am nächsten Tag mitteilte.
Noch einmal wallte heißer Zorn in ihr auf. War es nicht typisch für den überheblichen, anmaßenden Aristokraten, dass er seine Schwiegersöhne verdammte, ohne sie auch nur kennengelernt zu haben?
Sie klopfte.
Beinahe im gleichen Moment wurde die Tür aufgerissen. „Ja? Was, zum Teufel, soll … Miss Wood!“
Sie zuckte zusammen und presste die Briefe an die Brust. Direkt vor ihr stand nicht etwa der Kammerdiener oder Sekretär des Dukes. Nein, es war Aston selbst. Er sah aus, als wolle er seinen Augen nicht trauen. Offensichtlich hatte sie ihn aus dem Schlaf gerissen. Er trug nichts außer einem ein wenig zerknitterten Nachthemd, das sehr weit geschnitten war und dennoch von seinem männlichen Körper mehr verriet, als Jane je für möglich gehalten hätte. Sie errötete. Unter dem weißen Leinengewand war er zweifellos nackt. Unübersehbar zeichneten sich seine breiten Schultern, die schmalen Hüften, die muskulösen Schenkel unter dem Stoff ab.
Es war schrecklich! Jane schluckte. Da Astons Nachtgewand nicht bis zum Hals zugeknöpft war, konnte sie die Härchen sehen, die seine Brust bedeckten. Rasch senkte sie den Blick. Aber die nackten Füße des Dukes zu betrachten, war auch nicht besser. Es war wohl am sichersten, ihm ins Gesicht zu schauen!
Die Entscheidung wäre vielleicht richtig gewesen, wenn nicht Bartstoppeln sein Kinn bedeckt hätten. Zudem war seine Miene nicht so … aristokratisch wie sonst. Auch das zerzauste Haar trug dazu bei, einen anderen Menschen aus ihm zu machen. Jetzt, mitten in der Nacht, erinnerte er nur entfernt an den arroganten unnahbaren Adligen, als den sie ihn kannte. Er hätte irgendein Mann sein können.
Ein erstaunlich gut aussehender und kaum bekleideter Mann.
O Gott, was habe ich nur getan, dachte Jane.
3. KAPITEL
A ston war ganz und gar nicht begeistert darüber, dass die Gouvernante seiner Töchter – eine Bedienstete! – ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geholt hatte. Er wischte sich den Schlaf aus den Augen, fuhr sich dann mit dem Handrücken über das mit Bartstoppeln bedeckte Kinn. „Miss Wood, was soll das? Wir waren uns doch einig, dass wir morgen …“
„Verzeihen Sie, Euer Gnaden, aber das, was ich zu sagen habe, konnte nicht warten.“ Jane war selbst erstaunt darüber, wie fest ihre Stimme klang. „Es ist außerordentlich wichtig.“
„So wichtig, dass Sie mich um Mitternacht stören müssen?“ Er wirkte nicht so zornig, wie Jane befürchtet hatte. Sein Gesicht trug einen eher erstaunten als ärgerlichen Ausdruck. Man hätte sogar meinen können, er sei ein wenig verwirrt.
In diesem Augenblick wurde Jane klar, woran das vermutlich lag: Der Duke hatte bemerkt, dass sie unter ihrem Nachtgewand nackt war. Ja, sonst hätte er sie gewiss nicht so angestarrt! Sie errötete, allerdings weniger aus Scham als aus Wut. Was ging nur in diesem Mann vor? Sie musste etwas von größter Bedeutung mit ihm besprechen, und er interessierte sich stattdessen für ihre weiblichen Formen!
„Es tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe, Euer Gnaden“,
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