Venezianische Versuchung
zählte, sonst aber nicht weiter beachtet wurde.
Er runzelte die Stirn und dachte über sie nach. In all den Jahren, die sie für seine Töchter gesorgt hatte, war sie ihm streng und ganz und gar nicht hübsch erschienen. Sie hatte langweilige Hauben und sackartige Kleider getragen. Plötzlich jedoch – kaum dass sie Kleid und Haube abgelegt hatte – war eine wundersame Veränderung mit ihr vorgegangen. Sie hatte sich in eine junge Frau mit wunderschönem dunklen Haar, rosigen Wangen und glänzenden Augen verwandelt. Ihr Nachthemd, das an den Schultern ein bisschen verrutscht war, hatte den Blick freigegeben auf eine runde Schulter. Auch hatte es nicht verbergen können, wie wohlgeformt Miss Woods Brüste waren. Richard schluckte. Er hatte sogar erahnen können, dass die Brustspitzen in der kalten Nachtluft hart geworden waren und sich aufgerichtet hatten.
Verflucht! Er warf die Tür ins Schloss und machte sich auf den Rückweg zu seinem Bett. Oft genug hatte er erlebt, dass Dienstmädchen ihre Verführungskünste an ihm erprobten, um sich irgendwelche Vergünstigungen zu verschaffen. Ihre Bemühungen waren nie von Erfolg gekrönt gewesen, denn er gehörte nicht zu den Männern, die sich etwas daraus machten, sich mit Mägden zu vergnügen. Genauso wie Miss Wood nicht zu den Bediensteten gehörte, die es auf ihren Herrn abgesehen hatten! Stets war sie wie eine vertrocknete alte Jungfer aufgetreten. Wie eine Frau, die keine Ahnung hatte von der Liebe.
Doch nun hatte sie ihm zu seiner Verwirrung einen glühenden Vortrag über die Liebe gehalten!
Es war wirklich unglaublich: Miss Wood hatte ihn mitten in der Nacht aus dem Bett geholt, um ihm eine Lektion zu erteilen. Nur mit ihrem Nachthemd bekleidet, hatte sie mit ihm über die Liebe gesprochen.
Es musste mit diesem verrückten italienischen Klima zusammenhängen.
„Euer Gnaden!“ Wilson hielt Aston seinen Morgenmantel hin. „Bitte, ziehen Sie das an. Es ist so feucht hier, überall diese Kanäle. Sie wollen sich doch nicht erkälten! Und geben Sie mir bitte die Papiere. Ich lege sie auf den Schreibtisch.“
„Nein, nein“, wehrte Richard ab. Ohne den Morgenmantel auch nur eines Blickes zu würdigen und ohne die Briefe loszulassen, begab er sich zum Bett. Er mochte diese Schlafstatt nicht, sie war so … unenglisch. Aber er hatte nun mal keine Wahl. Mit leichtem Abscheu musterte er das reich verzierte Fußende. Vergoldete Schwäne, bei Jupiter! Und dann war da auch noch dieser rote Vorhang aus Samt, der mit einer goldenen Kordel geschlossen werden konnte. Außerdem – und das war wirklich ungehörig – ein Spiegel an der Decke! Kein ehrbarer Engländer würde sich jemals ein solches Bett anschaffen! Es passte eher in ein kostspieliges Freudenhaus als in das Schlafzimmer eines Gentleman!
Der Kammerdiener beeilte sich, seinem Herrn die Kissen aufzuschütteln. Aston beachtete ihn nicht. Er legte das eine Briefbündel auf den Nachttisch und öffnete das andere. Stirnrunzelnd zog er das erste Schreiben aus dem Umschlag. Kaum hatte er einen Blick auf die noch immer ein wenig kindliche Schrift seiner älteren Tochter geworfen, als er Miss Wood auch schon vollständig vergaß.
Wie konnte Mary mir das antun? Wie konnte sie heiraten, ohne meine Einwilligung abzuwarten? Wie konnte sie mich so enttäuschen, so im Stich lassen?
Er erinnerte sich daran, wie sie als kleines Kind auf ihn zugelaufen war, um auf den Arm genommen zu werden. Meist hatte sie weiße Kleidchen mit rosa Schleifen getragen. Und nun sollte seine Mary plötzlich eine erwachsene Frau sein, die einem anderen Mann gehörte?
„Ah“, sagte Wilson in diesem Moment, „Briefe von den jungen Damen, Euer Gnaden?“
„Gehen Sie zu Bett! Ich brauche Sie nicht mehr, Wilson“, gab er harsch zurück.
Und meine Töchter brauchen mich nicht mehr, schoss es ihm durch den Kopf. Sie hatten sich von ihm abgewandt, während er diese lange anstrengende Reise auf sich genommen hatte, um sie wiederzusehen.
Erst als der Kammerdiener den Raum verlassen hatte, setzte er sich auf das Bett und begann zu lesen.
Es war seltsam, sich mit Briefen zu beschäftigen, die nicht an ihn gerichtet waren. So ähnlich musste es sein, Menschen heimlich zu beobachten oder an einer Tür zu lauschen.
Bald jedoch vergaß Richard, dass Mary ihre Zeilen für Miss Wood geschrieben hatte. Ihm war, als höre er die Stimme seiner Tochter. Das Herz wollte ihm überfließen vor Liebe, und gleichzeitig fühlte er schmerzhaft den
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