Venezianische Versuchung
den Kopf. Ein Unfall mit der Kutsche, ein Schiffsunglück, ein Überfall durch Wegelagerer, ein gefährliches Fieber, eine entzündete Wunde … Damals, als er seine Gattin verloren hatte, wäre er ihr vor Kummer beinahe in den Tod gefolgt. Wenn seine Töchter gestorben waren … Er würde es nicht ertragen!
Seine Stimme klang heiser, als er Miss Wood befahl, ihm sofort zu erklären, was den Mädchen zugestoßen war.
„Sie haben geheiratet, Euer Gnaden.“ Die Gouvernante senkte den Kopf und starrte auf ihre ineinander verschränkten Hände. „Sie sind beide in den Stand der Ehe getreten.“
2. KAPITEL
V erheiratet?“, brüllte Aston. „Meine Töchter? Verheiratet?“
„Ja, Euer Gnaden.“ Jane Wood holte tief Luft und sagte sich, das Schlimmste sei überstanden. Sie kannte den Vater ihrer Schützlinge seit Langem und wusste um sein aufbrausendes Wesen. Schon früher hatte sie seine Wutausbrüche erlebt. Diesmal verstand sie seinen Zorn sogar. Natürlich hoffte sie trotzdem von ganzem Herzen, dass er sich rasch beruhigen würde. „Lady Mary und Lady Diana haben eine gute Wahl getroffen. Sie sind mit echten Gentlemen verheiratet.“
„Ha! Mit echten Schurken wohl eher!“
Das im Allgemeinen anziehende Gesicht des Dukes hatte einen so finsteren Ausdruck angenommen, dass Miss Wood sich innerlich auf einen weiteren Ausbruch gefasst machte. Doch Astons Stimme klang sehr beherrscht, als er fragte: „Warum haben Sie diesen Wahnsinn nicht verhindert? Warum haben Sie diese Verbrechen zugelassen, Miss Wood?“
Da begriff sie, dass er nicht nur wütend, sondern auch zutiefst enttäuscht und sehr besorgt um seine Töchter war.
„Euer Gnaden …“ Sie zwang sich aufzustehen. Irgendwie musste es ihr gelingen, ihn zu beruhigen. In seinem jetzigen Zustand würde er versuchen, alles, was sie tat und sagte, zu ihrem Nachteil auszulegen. Er würde ihr Schwäche und Unfähigkeit vorwerfen, sofern sie nicht überzeugend und gelassen auftrat. Von jeher hatte er es gehasst, wenn etwas nicht nach seinem Willen ging. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm widersprach oder seinen Anweisungen nicht Folge leistete. Er geriet in Wut, wenn man sich ihm widersetzte. Und er bemühte sich nicht im Geringsten, seinen Zorn und seinen Ärger zu beherrschen. In London war er geradezu berüchtigt für sein heftiges Temperament. Wenn er sich aufregte, dann half – wie Jane Wood in den zehn Jahren, die sie für den Duke of Aston arbeitete, gelernt hatte – nur eines: Man musste ihm alle Fakten so vernünftig wie möglich erläutern.
Noch einmal atmete sie tief durch. Dann legte sie die Hände vor der Brust zusammen, so wie sie es häufig tat. Sie war unzufrieden mit sich. Eigentlich hätte sie sich ihr Erschrecken über das unerwartete Auftauchen des Dukes nicht anmerken lassen sollen. Schließlich war sie kein unerfahrenes junges Mädchen mehr. Sie war eine kluge und fähige Frau von fast dreißig Jahren. Deshalb würde sie sich jetzt genau so verhalten, wie es am besten war: vernünftig und besonnen. Sie würde sich nicht verteidigen, denn sie hatte keinen Fehler gemacht, zumindest keinen schwerwiegenden. Mit wohlgesetzten Worten würde sie dem Duke erklären, was sich in den letzten Wochen und Monaten zugetragen hatte.
Tatsächlich hatte sie in den vergangenen Wochen bereits viel Zeit darauf verwendet, sich ihre Rede zurechtzulegen. Allerdings hatte sie immer angenommen, sie würde dem Duke in seiner sonnendurchfluteten Bibliothek in Aston Hall gegenübertreten, um ihn über alles zu informieren. Zudem hatte sie geglaubt, er würde dann bereits aus den Briefen seiner Töchter von deren Hochzeit erfahren haben. Dann hätte sie selbst nur ein paar Einzelheiten beisteuern müssen. Und es wäre nicht allzu schwer gewesen, ihm begreiflich zu machen, dass die Mädchen ihr Glück gefunden hatten. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, er könne sich mitten im Winter auf die Reise nach Venedig machen, um dann außer sich vor Wut im kalten, düsteren Treppenhaus der Ca’ Battista herumzubrüllen.
„Ich fürchte, ich muss die Wache rufen lassen“, verkündete Signora della Battista in diesem Moment auf Italienisch. Sie betrachtete den Duke voller Abneigung.
Jane schüttelte den Kopf und setzte zu einer Entgegnung an.
„Zumindest sollte ich den Dienern befehlen, diesen Mann hinauszuwerfen“, fuhr die Signora fort. „Es gibt keinen Grund, sich das Geschrei eines verrückten Engländers anzuhören.“
„Oh, für mich gibt es einen
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