Venus
Schreibtisch, zieht die Schublade auf, zählt, wie viel Geld übrig ist. Sie hat noch 180 Dollar. War da nicht noch mehr Geld? Sie weiß es nicht. Sie kann nicht umgehen mit Geld, unsere Venus. Sie wird einen Privatdetektiv beauftragen. Den kann man hoffentlich davon bezahlen. Das Beichtgeheimnis. Sind das nicht Mönche, die hier leben? Leise öffnet sie die Tür, um zu sehen, ob der Bliss Swami sich im Goldbrokatzimmer aufhält. Mit ihm würde sie ihr Geheimnis teilen. Was soll einen Mann wie ihn schon erschüttern? Wirkt er nicht durch und durch unerschütterbar? Er würde ihr helfen, ganz gewiss würde er ihr helfen. Auf seinen Floßhänden würde er sie aus dem Schlamassel tragen.
Unser Bliss Swami ist nicht da, aber der Indianersitzt am Tisch und isst rasch und fast ohne zu kauen quittegelben Gemüsebrei mit einem großen silbernen Löffel.
»Hey,« flüstert sie. Er scheint nicht zu hören.
Mau
Der Indianer heißt Mau. Er ist fünfundzwanzig und seit zwei Jahren ein Glücklicher Sklave Gottes. Geboren wurde er in einem Indianerreservat in Connecticut. Sein Großvater war ein Schamane. Er hatte Mau, bevor er in die Berge ging, um zu sterben, ein Lied beigebracht, an dessen erste Zeilen sich Mau noch erinnert:
»Meine Mutter ist die Erde. Ich habe vier Schwestern, eine für jede Richtung des Windes. Mein ältester Bruder ist die Sonne. Die Bäume sind meine Cousins. Mein Großvater, er sah alles beginnen. Niemand hat ihn jemals gesehen.«
Unmittelbar nach dem Tod des Großvaters hatte Maus Vater auf dem Gebiet des Indianerreservats eine riesige Spielhalle errichtet. Damit wurde die arme Familie schlagartig reich. Im Staat Connecticut war das Glücksspiel verboten, doch in Indianerreservaten galten andere Gesetze. Nachdem die Familie wohlhabend geworden war, ging sie zwar von Fusel zu hochwertigen Spirituosen über, aber ansonsten änderte sich nicht viel. Da es nur wenige ausgebildete Geschäftsleute unter den Indianern gab, waren die Drahtzieher und Geldverdiener bald Weiße.
Maus Vater starb Ende der Neunziger an einer Mischung aus Bourbon Whisky und gebrochenem Herzen. Mit seinem kleinen Erbteil, der ihm an seinem achtzehntenGeburtstag ausgezahlt wurde, ging Mau nach New York, bekam einen Job im Spirituosenhandel und ernährte sich bald überwiegend von Koks und Champagner.
Ungefähr zur selben Zeit hatte er sein Coming-out und wechselte die Liebhaber zweimal wöchentlich, bis er Ely, einen Luxus-Playboy kennen lernte. Mau verdiente gut, aber er gab noch mehr aus. Seine Schulden wuchsen, sein Drogenverbrauch nahm zu, und Ely ließ ihn sitzen, als er wegen Vollsuffs gefeuert wurde. Er konnte die Miete nicht bezahlen und flog raus aus seinem schicken Penthouse in TriBeCa. Er versuchte, einen Job zu finden, stellte aber fest, dass er nicht mehr imstande war, ein geordnetes Leben zu führen. Nach seinem Entzug lernte er bei den Anonymen Alkoholikern einen Glücklichen Sklaven Gottes kennen.
Er zog in die Tempelkirche ein und ließ sich als Koch ausbilden. Das Kochen machte ihm großen Spaß. Da die malaiischen Küchenkollegen ihn lehrten, weder mit Butter noch mit Öl zu geizen, nahm Mau allein im ersten Jahr vierzig Pfund zu. Er war nach wie vor süchtig. Er hatte lediglich Champagner und Drogen gegen Fressen und Gott eingetauscht.
Nach einem Jahr wurde er mit der Anbetung der heiligen Statuen betraut. Da es schwer war, die Riten der unterschiedlichen Religionen zu vereinen, hatte Toga kurzerhand das Prinzip der hinduistischen Anbetung außer für Krishna, Durga und Shiva auch für die Statuen von Jesus, Maria und Buddha eingeführt, eine »Götzenanbetung«, die die Fraktion der orthodoxen Moslems in den Anfängen der Gemeinschaft der Glücklichen Sklaven Gottes postwendend aus dem Haus getrieben hatte.
Die heiligen Statuen müssen, wie etwa Haustiere oder behinderte Kinder, vierundzwanzig Stunden täglich betreut werden. Mau, der für diese Funktion eine spezielle Einweihung erhielt, steht morgens um vier auf, unterzieht sich rituellen Waschungen, »weckt« die Statuen, zieht ihnen die Nachtgewänder aus, wäscht sie, zieht ihnen die prachtvollen Taggewänder an (selbst der im Christentum eher spartanisch dargestellte Jesus wird in der Tempelkirche zum heiligen Franz in prachtvolle perlenbestickte Kleider gehüllt, mit Schmuck behängt und geschminkt; die Heilige Mutter Gottes sieht gar aus wie eine indische Prinzessin), füttert sie symbolisch, so wie Kinder ihre Puppen füttern, öffnet den Vorhang
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