Venus
für die verschiedenen Morgenzeremonien, schließt den Vorhang danach, badet die Statuen wieder, füttert sie wieder, zieht sie wieder um. Sein Job ist Schwerstarbeit, weswegen er auch oft und viel essen muss und noch dicker wird, ein progressiver Vorgang.
Meist fühlt sich Mau glücklich und erfüllt wie nie zuvor, die heiligen Statuen erfordern seine ganze Aufmerksamkeit, wollen seine Liebe und Zuwendung mehr als seine Eltern, seine Geschwister und alle schwulen Liebhaber zusammen. Er fühlt sich erotisch stark zu Krishna hingezogen, dessen Schönheit und Jugend er nach Feierabend heimlich in Gedichten beschreibt und auf dessen nacktem Körper er zu meditieren pflegt (der Meditation folgt im Regelfall ein langes entspannendes Wannenbad, wo eher eine kalte Dusche empfohlen). Mau hat das Gefühl, dass Krishna die Lösung für alle seine Probleme ist.
Dass Sex in seinem neuen Leben offiziell nicht stattzufinden hat, und schwul schon gar nicht, erschüttertihn von Zeit zu Zeit erheblich. Er ist dann launisch, umwölkt, bockig, faul, unzuverlässig, der Unmut hängt ihm in den Bäckchen, seine Stirn trägt alle Zeichen des Trotzes, und er legt seine Kriegsbemalung an, einen roten Strich, der von seinen äußeren Augenwinkeln bis in seinen Haaransatz hineinführt und für dessen Herstellung er Lippenstift benutzt. Der rote Strich ist das Zeichen dafür, dass ihm jeder möglichst aus dem Weg gehen sollte. Glücklicherweise spricht ihn unsere Venus in einer seiner heiteren Phasen an.
»Hey, du«, ruft sie leise.
Er dreht den Quadratschädel und fixiert sie durch seine dicke dunkle Hornbrille.
»Hi«, sagt er in gedehnt tuntigem Tonfall. »Gut eingelebt?«
»Jaja«, sagt sie und winkt ihn eifrig heran. Ungern, sehr ungern lässt sich Mau beim Essen stören, kommt aber näher, da seine Neugier rasch über seine Fresssucht siegt.
Sie zieht ihn in ihr Zimmer und schließt die Tür hinter ihm.
»Anyway, was ist denn los?« Mau stellt beunruhigt fest, dass die blonde junge Frau von sehr knabenhafter Gestalt ist. Er fährt mit der Hand unter sein T-Shirt und kratzt sich seine fetten schwitzenden Brüste.
»Kann ich dir vertrauen?«, fragt sie. Mau nickt eine Spur zu heftig.
»Kannst du mir bitte draußen eine New York Post holen? Bitte. Schnell.«
Mau wirft ihr einen Blick zu, der in etwa fragt, warum in Gottes Namen sie sich nicht selbst ihre Zeitung holt.
»Hol schnell die Zeitung«, sagt sie, »dann erzähl ich dir mehr.« Das ist übertrieben. Sie weiß ja gar nicht mehr. Sie wird nur wissen, was sie in der Zeitung liest. Und das wird Mau dann bereits gelesen haben.
Der zögert noch. Ein weiteres Laster hat er bisher nicht aufgeben können. »Rauchst du?«
Sie stockt kurz. »Ja«, sagt sie. »Ich glaube, ja.«
»Du glaubst?« Er sieht sie mit wachsendem Interesse an. »Wenn du glaubst, ja, brauchst du dann keine Zigaretten?«
Sie versteht und gibt ihm einen Zehndollarschein. »Hier, bring eine Schachtel mit.«
»Sorte?«
»Egal.«
Mau läuft nach unten. Der Zwickel seiner Dhoti, einer weiten indischen Hose, hängt so tief, dass er sich mit kurzen watschelnden Schritten bewegen muss und dabei frappierende Ähnlichkeit mit einer Seerobbe entwickelt. Er beeilt sich, angetrieben von seiner Lust auf eine Marlboro, seiner Neugier, seiner Klatschsucht. Sein letztes wollüstiges Tratscherlebnis liegt schon fast ein Jahr zurück. Kuki hatte ihm anvertraut, dass sie ein Kind hat, irgendwo in New York. Der Nachhall seines Schweigegelübdes hatte noch in Kukis Zimmer gelegen, als er damals ihr Geheimnis bereits mehreren Permanenten weitererzählt und sie dabei zu strengster Geheimhaltung verpflichtet hatte. Es war einfach zu herrlich, es machte ihn so bedeutend, in der Lage zu sein, Informationen dorthin zurückzugeben, wo sie hingehören, wo alles hingehört: in den ewigen Kreislauf. Was für ein Geheimnis würde er gleich erfahren, und wer würde der Erste sein, dem er es unter dem Siegel der Verschwiegenheit weitererzählen könnte?
Inzwischen sind die Ermittlungen auf der Upper East Side in vollem Gange. Sie werden geführt von einem Inspektor der Mordkommission, der eine Mischung ist aus Hercule Poirot und Columbo. Er heißt Daniel H. Boone, was ihm in seinem Leben schon einigen Spott eingebracht hat. Er steht kurz vor der Pension und ist nicht der Action-Typ mit Tür-Eintreten und Ballermann, eher ein vergrübelter Tüftler. Aber er ist ein New Yorker, ein echter New Yorker, wie er nicht müde wird zu
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