Venusbrüstchen: Roman (German Edition)
trinken?«, fragte sie so laut, dass Beatrice zusammenzuckte. Und als sie bemerkte, dass die grauen Schläfen sich wieder an ihre Fersen hefteten, hängte sie sich bei Beatrice ein und warf fröhlich ihren Kopf zurück.
»Du bist ja geschminkt«, stellte Hubert missbilligend fest, als Judith und er sich beim Essen gegenübersaßen.
»Na und?«
»Ich wusste gar nicht, dass dreifache Mutterfreuden zu einer Farborgie anregen.«
»Und ich wusste nicht, dass so ein bisschen Lippenstift und Rouge gleich eine Orgie sein sollen.«
»Ohne Farbe gefällst du mir jedenfalls besser«, meinte Hubert und griff nach der Speisekarte.
Judith ärgerte sich. Gott, ist der langweilig, dachte sie. Wie streng sein Gesicht aussah, wie aufrecht er dasaß; er hatte etwas Englisches an sich, etwas Distinguiertes; er sprach, als sei ihm manchmal die Zunge im Weg. Wie viele Männer kleiner Statur hielt er sich gerade und trug den Kopf leicht erhoben. Die Kellner flitzten, wenn er einen Wunsch äußerte, und in der Straßenbahn wagte keiner, ihn anzurempeln. Bei Judith flitzten die Kellner nicht, und angerempelt wurde sie oft.
»Prost«, sagte sie und lächelte mühsam. »Freu dich doch mit mir. Schließlich sind wir nicht auf einer Beerdigung.«
»Wann kommen die Kinder?«
»In zwei Wochen. Mein Gott, was ich noch alles erledigen muss … Glaubst du, es wird möglich sein, eine Woche vorher Urlaub zu bekommen?«
»Jetzt? Zur Hauptreisezeit?«
»Wenn du dich dafür verwenden würdest? Schließlich bist du mein Vorgesetzter?«
»Und wenn ich mich nicht verwende?«
»Dann werde ich krank«, antwortete Judith eisig. »Ich bekomme Bauchschmerzen, Wehen und eine dreifache Sturzgeburt. Wer kann schon arbeiten als Wöchnerin.«
»Judith. Sei doch nicht kindisch. Natürlich kannst du Urlaub bekommen. Aber sonst … Ich glaube, du bist dir immer noch nicht bewusst, was du dir alles aufhalst. Es hätte auch elegantere Lösungen gegeben. Ein Internat für Stephanie, eine Sprachenschule mit Wohnmöglichkeit für Claudia und später dann vielleicht ein Studium mit Unterbringung in einem Studentenheim. Und Oliver … nun ja. Auch hier wäre uns etwas eingefallen.«
»Die Geschwister auseinanderreißen? Nachdem sie vorher schon beide Eltern verloren haben? Wie grausam du bist.«
Hubert spielte mit seiner Serviette. »Ich bin nicht grausam«, sagte er nach einer Weile. »Nur enttäuscht. Ich liebe dein kleines Häuschen, und dann meine Pläne. Wie angenehm hätten wir beide zusammenleben können. Im Erdgeschoß das Wohnzimmer, das ich ein wenig umgebaut hätte, im ersten Stock die beiden kleinen Zimmer als Gästeraum und Bibliothek …«
»Vergiss das Schlafzimmer nicht.«
»Das Schlafzimmer kann bleiben, wie es ist.« Er räusperte sich.
»Ja. Wie gesagt. Schön hätten wir uns das Leben machen können. Ein nettes Heim, unsere Reisen nach Madeira und in die Toskana …«
»Ein bisschen arg ruhig, nicht? Das klingt so nach Rente und Parkbank in der Sonne und Sahnetorte am Sonntag, Punkt fünfzehn Uhr. Und dass du zuerst meine niedlichen Zimmerchen, dann die Reisen und mich schließlich nur am Rande erwähnst, stimmt mich recht nachdenklich. Ich weiß zwar, dass ich die Männer nicht gerade zu Leidenschaftsstürmen hinreiße. Auch bin ich kein Typ, dem sie, mit Schaum vor dem Mund, nachjagen und rote Rosen ins Haus schicken. Deshalb pflanze ich sie mir ja auch selber – die roten Rosen meine ich.« Sie lachte schroff. »Aber ein bisschen mehr Romantik wäre schon angebracht. Und eine Brise frischer Wind täte vielleicht auch dir ganz gut. Und die Kinder bringen frischen Wind, du wirst schon sehen.«
»Ich? Ich werde kaum etwas sehen. Ich wurde schließlich nicht Vater. Deine leichtfertige Entscheidung hast du schon selbst zu tragen.« Er trank einen Schluck Bier und starrte sie bitter an. Nun waren seine Augen tatsächlich so hell, wie sie schon nachmittags befürchtet hatte.
»Oh … also auch heute kein Heiratsantrag, mein lieber Hubert«, sagte sie in einem plötzlichen Anflug von Mut. »Trotz meines reizenden Häuschens mit den praktischen Umbaumöglichkeiten. Nun gut. Dann ist die nette Judith also ledige Mutter. Macht auch nichts. Ich wollte schon immer ein wenig anrüchig sein. Schließlich war ich noch nie in meinem Leben so richtig anrüchig, von meinem österreichischen Skilehrer mal abgesehen. Immer nur dusslig, brav und bieder. Und heiraten wollte ich sowieso nie. Schon gar nicht einen Mann, der mich vorzeitig zur alten Frau
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