Verbannt
erinnerte mich an die Geschichten aus „ Tausend und eine Nacht“. Es hatte ein gewölbtes Dach, das von fünf Minitürmchen gehalten wurde. In der Mitte des Gebildes war ein Loch, aus dem ein steter Strom von Rauch in die ansonsten klare Nachtluft stieg. Die Plane, die den Eingang verdeckte, war fest verschlossen, aber aus dem Inneren fiel Licht und verlieh dem hellgrünen Stoff ein magisches Schimmern.
Schau gut zu, sagte die Göttin, als wir durch das Zeltdach schwebten.
Ein Feuer brannte in einem auf drei Beinen stehenden Kupferpfdnnchen. Die flackernden Flammenzungen erhellten das Innere des gesamten Zelts. Der Boden war reich mit gewebten goldenen Matten ausgelegt. Das einzige Möbelstück war ein gigantischer Berg samtener Kissen, die alle die Farbe von frischem Blut hatten.
„Ich habe gesagt, dass ich das nicht trinken werde! 1 ’, sagte ein Mädchen zickig.
Ich grinste, als ich sie erkannte. Ich war es – oder besser Rhiannon –, als Teenager. Vertraut mir, diesen neunmalklugen Ton würde ich überall erkennen.
„Aber Mylady, die Auserwählte trinkt vor der Aufstiegszeremonie immer vom Wein der Göttin.“
Die süße Stimme einer sehr jungen Alanna klang erschöpft und besorgt. Selbst im dämmrigen Licht konnte ich den in feinster Handwerkskunst gefertigten Kelch erkennen, den sie ihrer Herrin darbot. Rhiannon schlug ihn ihr einfach aus der Hand. Tiefrote Flüssigkeit regnete auf den goldenen Teppich.
„ Ich bin die Inkarnation der Göttin. Ich tue, was ich will.“ Ihre Worte klangen wie ein Zischen, ein Vorbote ihrer Bösartigkeit als Erwachsene. „ Und diesen Zaubertrank werde ich nicht trinken.“
„Mylady“, versuchte Alanna, vernünftig mit ihr zu reden. „Der Wein der Göttin macht die Zeremonie für die Auserwählte angenehm. Darum verlangt Epona von ihrer Geliebten, davon zu trinken. Die Göttin denkt dabei nur an Sie, Herrin.“
„Hai Epona denkt an ihr eigenes Vergnügen und daran, mich zu kontrollieren. Sorge um mich gehört nicht zu ihren Beweggründen. “
Sie klang missmutig. Ich erinnerte mich, diesen Ton einmal meinem Vater gegenüber angeschlagen zu haben, als ich noch ein Teenager war. Es hatte irgendwas damit zu tun, dass ich länger wegbleiben wollte. Ich erinnerte mich auch noch sehr gut daran, dass er mir prompt Hausarrest verpasst hatte. Seine genauen Worte waren: „Shannon Christine, du hast so lange Hausarrest, bis du ein besserer Mensch bist.“ Unglücklicherweise sah ich bei Rhiannon keine Spur von ihrem Dad (oder meinem) oder irgendjemanden, der sie davon abhalten konnte, sich wie eine verwöhnte Göre zu benehmen.
„Herrin, Sie sind die Geliebte der Göttin, ihre Auserwählte. Sie möchte, dass Sie dem Weg folgen, der der Beste für Sie ist“, fuhr die junge Alanna offensichtlich verzweifelt fort.
„Ich weigere mich. Ich bevorzuge es, bei klarem Verstand zu bleiben. Jetzt geh, und lass die Zeremonie beginnen.“
Mit einer hochmütigen Geste scheuchte Rhiannon ihre Dienerin fort. Alanna hob den Kelch auf und entfernte sich rückwärts gehend langsam aus dem Zelt.
Ich musterte die junge Rhiannon. Mit einer ruckartigen Bewegung stand sie auf und fing an, auf dem kleinen Stück Fußboden, das nicht von Kissen bedeckt war, auf und ab zu gehen. Abwesend fuhr sie sich mit den Händen durch das Haar.
Wegen der Vertrautheit der Geste entfuhr mir ein Keuchen. Ich hatte seit über dreißig Jahren die gleiche Angewohnheit. Es war ein surreales Erlebnis, dieses Ebenbild aus der Vergangenheit zu beobachten. Sie trug eine goldene Robe, die nur einen Schlitz für den Kopf und zwei für die Arme hatte. Sie war vorne zusammengebunden, aber bei jedem Schritt flog sie auf und enthüllte ihren festen, nackten Körper.
„Ah, die Jugend“, murmelte ich und würdigte die Geschmeidigkeitfrischer Weiblichkeit.
Rhiannon hob mit einem Mal die Hände, um ihre Ohren zu bedecken; wie ein Kind, das die Stimme der Eltern ausblenden will.
„Nein! Verschwinde aus meinem Kopf! Niemand sagt mir, was ich zu tun habe! Ich werde es auf meine Weise machen, nicht auf deine!“, schrie sie in dem leeren Zelt.
Ich erkannte, dass sie wohl Epona anschrie, und mein Blick glitt zu der nebligen Form neben mir.
Sie ist immer schon sehr willensstark gewesen, flüsterte die Göttin traurig.
„ Wem sagst du das 1 ’, stimmte ich zu. Ich hatte mich durch meine Starrköpfigkeit selber zu oft in ausweglose Situationen manövriert (zum Beispiel in meine erste Ehe, gegen die mein Vater
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