Verbannt
„Du gehörst immer noch mir. Das Blut hält dich.“ Sie zeigte mit einem zitternden Finger auf Clint. „Zerstöre ihn.“
6. KAPITEL
Die wabernde Schwärze reagierte nur langsam auf Rhiannons Befehl, indem sie aufstieg, als würde sie sich aufrichten. Voller Entsetzen sah ich zu, wie sie langsam fester wurde und das Böse erneut Gestalt annahm.
Panisch versuchte ich mich aufzusetzen. Ich musste an einen Baum kommen, irgendeinen verdammten Baum. Plan A wäre natürlich, eine der uralten Sumpfeichen zu erreichen. Ich wusste, welche Kraft sie bargen, aber sie standen innerhalb des Kreises, und Nuada befand sich zwischen ihnen und mir. Die nächsten Bäume waren etliche Meter von mir entfernt. Es wurde wohl Zeit für Plan B.
Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich aufzustehen, fiel aber sofort schmerzhaft wieder auf meinen Allerwertesten. Meine Beine wollten scheinbar nicht kooperieren. Ich öffnete den Mund, um Clint zu rufen, dann schloss ich ihn wieder.
Clint stand völlig still. Langsam hob er einen Arm und streckte ihn vom Körper weg. Ich konnte hören, dass er sang, aber ich konnte die Worte nicht verstehen.
Ich schaute von ihm zu Rhiannon. Ihre Aufmerksamkeit war nicht auf Clint (oder gar auf mich) gerichtet, sondern sie bewegte sich methodisch an der Kreislinie entlang und summte dabei die Worte mo muirninn in Richtung der sich ausformenden Kreatur, als würde es sich dabei um Koseworte handeln. Alle paar Schritte zog sie mit der Spitze ihres Lederstiefels einen scharfen Schnitt in die Außenlinie des Kreises. Wenn sie den Kreis an einer Stelle durchbrochen hatte, ging sie weiter an der Schmelzkante entlang und wiederholte das bizarre Ritual nach ein paar Schritten. Dabei summte sie die ganze Zeit vor sich hin.
Mit einem Mal wurden Clints Worte für mich verständlich, und ich wandte meinen Blick wieder dem Schamanen zu. Seine Aura schimmerte wie ein juwelenartiges Licht, das wild pulsierte. Er erschien mit einem Mal so mächtig und stark, dass sein Anblick mir die Tränen in die Augen trieb. Seine Füße standen hüftbreit auseinander, seine Arme hatte er gerade nach oben gehoben. Seine Hände schienen in die Luft zu greifen, als wollte er den Himmel zu uns herunterholen. Sein Kopf war auf die Weise in den Nacken gelegt, wie ClanFintan es tat, wenn er den Wandel anrief.
Ich hörte genau zu, als Clint in einen Singsang verfiel, der keine Ähnlichkeit mit den Gesängen hatte, die ich in Partholon kennengelernt hatte. Stattdessen wurden seine Worte von einem tiefen, primitiven Rhythmus betont, der um uns pulsierte.
„Ich befehle eine Macht, die nicht in einfachen Worten zu erklären ist. Ich rufe die Geister, die die Welt, das Wetter und alles Leben unterstützen.
Ich befehle nicht mit Worten, sondern mit Sturm und Schnee und Regen und dem Zorn der ungezähmten Wildnis. Ich rufe die Geister, die die Menschheit fürchtet, die immer unter uns weilen und doch unendlich weit entfernt sind.
Ich befehle mit einer Stimme, die so fein und sanft ist, dass nicht einmal ein unschuldiges Kind vor ihr erschrickt, denn ich halte die Energie wachsender Bäume und raschelnder Blätter, die Kraft der Strahlen der Sonne und aufblühender Knospen.
Durch den Wind rufe ich dich zu mir.“
Clints Körper drehte sich nach rechts.
„Durch den Regen rufe ich dich zu mir.“
Er drehte sich wieder ein Stück.
„Durch das Feuer rufe ich dich zu mir.“
Mit seinen nächsten Worten schloss er den Kreis, in dem er sich bewegt hatte.
„Durch die Erde rufe ich dich zu mir.“
Clint ließ die Arme sinken und sah sich um, als wäre er gerade aus einem überwältigenden Traum erwacht. Das Blau seiner Aura leuchtete immer noch, doch ich konnte weder an ihm noch in seiner unmittelbaren Umgebung eine Veränderung erkennen.
Oh, Göttin, betete ich still. Wenn das, was auch immer er da getan hat, nicht wirkt, hilf mir, zu den Bäumen zu kommen, damit wir eine Chance haben, Nuada zu bekämpfen. Mit diesem Gedanken zog ich die Beine unter meinen Körper und fing an, in Richtung Baumgrenze zu robben. Ich schaute auf, um zu sehen, wie weit die vermeintliche Sicherheit noch entfernt war – und blinzelte verwirrt.
Ich rieb mir die Augen, so sicher war ich mir, dass mein Blick durch meine Verletzung getrübt sein musste. Ich vergaß Clint und Rhiannon und sogar Nuada und starrte auf die Bäume und dornigen Büsche, die die uralte Lichtung umgaben.
Nein, es war keine Täuschung. Es war magisch. Das war pure
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