Verblendung
ihm das Messer in den Rücken rammte, gab es keine Garantie dafür, dass er unmittelbar und lautlos starb oder dass er überhaupt starb. Außerdem konnte es dabei möglicherweise zu einem Gerangel kommen, das Aufmerksamkeit erregen würde, und Blut an ihrer Kleidung wäre ein erdrückender Beweis.
Sie dachte an eine Bombe, aber das war zu kompliziert. Die Herstellung der Bombe wäre sicher machbar - im Internet wimmelte es von Anleitungen, wie man sich die tödlichsten Dinger zusammenbasteln konnte. Es war jedoch schwierig, die Bombe so zu platzieren, dass kein Unschuldiger verletzt wurde. Außerdem gab es abermals keine Garantie dafür, dass Bjurman wirklich starb.
Das Telefon klingelte.
»Hallo, Lisbeth, hier ist Dragan. Ich habe einen Job für Sie.«
»Ich habe keine Zeit.«
»Es ist wichtig.«
»Ich bin beschäftigt.«
Sie legte auf.
Zu guter Letzt verfiel sie auf eine unerwartete Alternative - Gift. Die Wahl überraschte sie selbst. Bei näherer Betrachtung war es einfach perfekt.
Lisbeth Salander verbrachte ein paar Tage damit, das Internet nach einem passenden Gift zu durchkämmen. Es gab jede Menge Alternativen. Zum Beispiel eines der absolut tödlichsten Gifte, das der Wissenschaft bekannt war - Cyanwasserstoff, besser bekannt als Blausäure.
Cyanwasserstoff fand als Komponente in gewissen chemischen Industrien Verwendung, unter anderem bei der Herstellung von Farbstoffen. Ein paar Milligramm reichten aus, um einen Menschen zu töten, ein Liter in einem Wasserreservoir, um eine mittelgroße Stadt zu verseuchen.
Aus verständlichen Gründen unterlag ein so tödlicher Stoff rigorosen Sicherheitskontrollen. Doch obwohl ein politischer Fanatiker nicht einfach in die nächste Apotheke gehen und zehn Milliliter Cyanwasserstoff kaufen konnte, war der Stoff in jeder gewöhnlichen Küche in nahezu unbegrenzter Menge herstellbar. Alles, was man dazu brauchte, war eine bescheidene Laborausrüstung, die man sich mit einem Chemiebaukasten für Kinder für ein paar hundert Kronen beschaffen konnte, sowie ein paar Zutaten, die sich aus ganz alltäglichen Haushaltswaren gewinnen ließen. Die Anleitung für die Herstellung war im Internet zu finden.
Ein anderer Stoff war Nikotin. Davon konnte sie aus einer Stange Zigaretten genügend Milligramm extrahieren und zu einem dünnen Sirup einkochen. Eine noch bessere Alternative, allerdings ein bisschen umständlicher in der Herstellung, war Nikotinsulfat, das von der Haut absorbiert wurde - da würde es schon reichen, sich Gummihandschuhe anzuziehen, eine Wasserpistole zu füllen und auf Bjurmans Gesicht zu schießen. Innerhalb von zwanzig Sekunden würde er das Bewusstsein verlieren und nach ein paar Minuten mausetot sein.
Lisbeth Salander hatte bis dahin nicht einmal geahnt, dass so viele gewöhnliche Haushaltswaren aus dem Drogeriemarkt um die Ecke in tödliche Waffen verwandelt werden konnten. Nachdem sie sich ein paar Tage lang in das Thema vertieft hatte, war sie sicher, dass es nicht das geringste technische Problem bereiten würde, kurzen Prozess mit ihrem Betreuer zu machen.
Doch zwei Tatsachen blieben bestehen: Bjurmans Tod würde ihr nicht die Kontrolle über ihr Leben wiedergeben, und es gab keine Garantie dafür, dass sein Nachfolger nicht zehnmal so schlimm sein würde. Konsequenzanalyse.
Was sie brauchte, war eine Möglichkeit, ihren Betreuer und damit ihre eigene Situation zu kontrollieren . Sie saß einen ganzen Abend unbeweglich auf dem zerschlissenen Sofa im Wohnzimmer und ging die Situation noch einmal durch. Als der Abend vergangen war, hatte sie ihre Giftmordpläne fallen lassen und einen neuen Gedanken gefasst.
Dieser Plan war zwar nicht sehr verlockend und erforderte, dass sie Bjurman abermals an sich heranließ, doch am Ende würde sie Erfolg haben.
Glaubte sie.
Ende Februar geriet Mikael in einen Trott, der den Aufenthalt in Hedeby in Routine verwandelte. Er stand jeden Morgen um neun Uhr auf, frühstückte und arbeitete bis zwölf. In dieser Zeit las er sich in neues Material ein. Danach ging er, unabhängig vom Wetter, eine Stunde spazieren. Am Nachmittag machte er weiter, zu Hause oder in Susannes Café, indem er entweder sein Pensum vom Vormittag bearbeitete oder Teile von Henriks Autobiografie schrieb. Zwischen drei und sechs Uhr hatte er immer frei. Dann kaufte er ein, wusch ab oder fuhr nach Hedestad und erledigte Besorgungen. Gegen sieben ging er zu Henrik Vanger hinüber und besprach mit ihm die offenen Fragen, die während
Weitere Kostenlose Bücher