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zögern. »Das ist ein Name, den ich so schnell nicht vergessen werde, aber ich habe ihn seit vielen Jahren nicht mehr gehört.«
»Der Mordfall ist Ihnen bekannt?«
»Oh ja, allerdings. Rebecka Jacobsson war dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt, als sie ermordet wurde. Es muss … es ist 1949 passiert. Die Ermittlungen waren sehr umfassend, und ich selbst spielte dabei auch eine kleine Rolle.«
»Sie?«, platzte Mikael verblüfft heraus.
»Ja. Rebecka Jacobsson war Büroangestellte bei Vanger. Sie war ein beliebtes Mädchen und sah unglaublich gut aus. Aber wie kommt es, dass Sie plötzlich nach ihr fragen?«
Mikael wusste nicht, was er sagen sollte. Er stand auf und ging zum Fenster.
»Ich weiß nicht recht, Henrik, ich habe da vielleicht etwas gefunden, aber ich muss mich in Ruhe hinsetzen und eine Weile darüber nachdenken.«
»Sie wollen andeuten, dass es eine Verbindung zwischen Harriet und Rebecka geben könnte. Aber zwischen … zwischen diesen Ereignissen lagen fast siebzehn Jahre.«
»Lassen Sie mich darüber nachdenken. Ich schaue morgen mal bei Ihnen rein, ob es Ihnen schon besser geht.«
Mikael sollte Henrik Vanger am nächsten Tag nicht mehr treffen. Kurz vor ein Uhr nachts saß er immer noch am Küchentisch und las in Harriets Bibel, als er plötzlich einen Wagen mit hoher Geschwindigkeit über die Brücke fahren hörte. Er spähte aus dem Küchenfenster und konnte kurz das Blaulicht eines Krankenwagens erkennen.
Von bösen Vorahnungen erfüllt, rannte Mikael nach draußen und folgte dem Krankenwagen. Er parkte vor Henrik Vangers Haus. Im Obergeschoss brannte Licht, und Mikael begriff sofort, dass etwas passiert war. Er nahm zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe zum Eingang hinauflief, und traf im Flur auf eine erschütterte Anna Nygren.
»Das Herz«, sagte sie. »Er hat mich vor einer Stunde geweckt und klagte über Schmerzen in der Brust. Dann brach er zusammen.«
Mikael nahm die treue Haushälterin in die Arme und blieb bei ihr, als die Rettungshelfer mit einem scheinbar leblosen Henrik Vanger auf der Tragbahre herauskamen. Ein sichtlich mitgenommener Martin Vanger folgte ihnen auf dem Fuße. Er hatte sich gerade hingelegt, als Anna ihn alarmierte. Seine nackten Füße steckten in Pantoffeln, und der Reißverschluss seiner Hose stand offen. Nachdem er Mikael kurz gegrüßt hatte, wandte er sich an Anna.
»Ich fahre mit ins Krankenhaus. Rufen Sie Birger und Cecilia an«, sagte er. »Und benachrichtigen Sie auch Dirch Frode.«
»Ich kann zu Frode rübergehen«, bot Mikael an. Anna nickte dankbar.
Nach Mitternacht an eine Tür zu klopfen bedeutet meistens schlechte Nachrichten, dachte sich Mikael, als er den Finger auf Dirch Frodes Klingel legte. Es dauerte ein paar Minuten, bis ein offensichtlich schlaftrunkener Frode an die Tür kam.
»Ich habe schlechte Neuigkeiten. Henrik Vanger ist gerade ins Krankenhaus gebracht worden. Es scheint ein Herzanfall zu sein. Martin wollte, dass ich Sie benachrichtige.«
»O mein Gott«, sagte Dirch Frode. Er blickte auf seine Armbanduhr. »Heute ist Freitag, der 13.«, sagte er mit unmissverständlicher Logik und verwirrtem Gesichtsausdruck.
Als Mikael wieder nach Hause kam, war es halb drei Uhr nachts. Er zögerte einen Moment, beschloss dann aber, den Anruf bei Erika aufzuschieben. Erst am nächsten Morgen gegen neun Uhr, als er kurz auf dem Handy mit Dirch Frode telefoniert und sich vergewissert hatte, dass Henrik noch lebte, rief er Erika an, um ihr mitzuteilen, dass der neue Teilhaber von Millennium nach einem Herzanfall ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Wie zu erwarten, wurde die Nachricht mit gedrückter Stimmung und Besorgnis aufgenommen.
Erst spätabends kam Frode mit ausführlichen Auskünften über Henriks Zustand zu Mikael.
»Er lebt, aber es geht ihm nicht gut. Er hatte einen ernsten Infarkt und zudem noch eine Infektion im Körper.«
»Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein. Er liegt auf der Intensivstation. Martin und Birger sind dort und wachen an seinem Bett.«
»Wie stehen seine Chancen?«
Frode bewegte die Hand leicht hin und her.
»Er hat den Infarkt überlebt, das ist immer ein gutes Zeichen. Und Henrik hat tatsächlich eine ziemlich gute Konstitution. Aber er ist alt. Wir müssen abwarten.«
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und dachten über die Zerbrechlichkeit des Lebens nach. Mikael goss Kaffee ein. Frode sah fürchterlich niedergeschlagen aus.
»Ich muss Ihnen ein paar Fragen
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