Verblendung
das macht doch nichts. Ich liebe dich trotzdem.«
»Ich liebe dich auch, aber du weißt …«
»Ich weiß. Ich glaube, ich bin schon erwachsen genug.«
Mikael machte Tee und servierte Gebäck dazu. Plötzlich wurde ihm klar, dass seine Tochter die Wahrheit gesagt hatte. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sie wurde demnächst siebzehn und würde bald eine erwachsene Frau sein. Er musste lernen, sie nicht mehr wie ein Kind zu behandeln.
»Also, wie war’s denn jetzt eigentlich?«
»Was?«
»Das Gefängnis.«
Mikael lachte.
»Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass es wie ein bezahlter Urlaub war, wo ich wunderbar nachdenken und schreiben konnte?«
»Absolut. Ich glaube nicht, dass zwischen einem Gefängnis und einem Kloster ein großer Unterschied besteht, und die Leute sind immer ins Kloster gegangen, wenn sie sich weiterentwickeln wollten.«
»Tja, so kann man das wohl auch sehen. Ich hoffe, du hattest keine Probleme damit, dass dein Papa ein berüchtigter Gefängnisinsasse ist?«
»Überhaupt nicht. Ich bin stolz auf dich und lasse keine Gelegenheit aus, um damit anzugeben, dass du für das gesessen hast, woran du glaubst.«
»Woran ich glaube?«
»Ich habe Erika Berger im Fernsehen gesehen.«
Mikael wurde blass. Er hatte keinen einzigen Gedanken an seine Tochter verschwendet, als Erika ihre Strategie ausgearbeitet hatte, und Pernilla schien zu glauben, dass ihn nicht die geringste Schuld traf.
»Pernilla, ich war nicht unschuldig. Es tut mir leid, dass ich dir die Hintergründe nicht erklären kann, aber ich wurde rechtmäßig verurteilt. Das Gericht hat sein Urteil auf der Basis der Tatsachen, die im Prozess dargelegt wurden, gefällt.«
»Aber du hast niemals deine Version erzählt.«
»Nein, weil ich sie nicht beweisen kann. Ich habe einen Mordsschnitzer gemacht, und deswegen musste ich ins Gefängnis.«
»Okay. Dann beantworte mir die Frage: Ist Wennerström ein Verbrecher oder nicht?«
»Er ist einer der übelsten Verbrecher, die mir jemals über den Weg gelaufen sind.«
»Na also. Das reicht mir. Ich habe ein Geschenk für dich.«
Sie holte ein Päckchen aus ihrem Koffer. Mikael machte es auf und fand eine Best-of-CD der Eurhythmics . Sie wusste, dass das eine seiner alten Lieblingsbands war. Er umarmte sie, legte die CD sofort in sein iBook ein, und sie hörten sich zusammen Sweet Dreams an.
»Was willst du eigentlich in Skellefteå?«, fragte Mikael.
»Sommerlager mit Bibelschule. Die Vereinigung heißt Licht des Lebens «, gab Pernilla zur Auskunft, als wäre es das Selbstverständlichste in der Welt.
Mikael spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
Er erkannte, wie sehr sich seine Tochter und Harriet ähnelten. Pernilla war sechzehn, genau wie Harriet, als sie verschwand. Beiden fehlte die Vaterfigur in ihrem täglichen Leben. Beide neigten zu religiöser Schwärmerei und schlossen sich befremdlichen Sekten an, Harriet der städtischen Pfingstversammlung und Pernilla einer Vereinigung, die vermutlich ebenso verrückt war wie die populäre, aber eben doch sektenartige Bewegung Licht des Lebens .
Mikael wusste nicht recht, wie er mit ihrem neu erwachten Interesse für Religion umgehen sollte. Er hatte Angst, sich unsensibel einzumischen und sie einzuschränken in ihrem Recht, selbst zu entscheiden, welchen Weg sie im Leben gehen wollte.
Gleichzeitig war Licht des Lebens jedoch ohne Zweifel eine religiöse Vereinigung von der Sorte, über die Erika und er nur zu gerne eine polemische Reportage in Millennium veröffentlichen würden. Er beschloss, die Frage bei nächster Gelegenheit mit Pernillas Mutter zu besprechen.
Pernilla schlief in Mikaels Bett, während er sich in der Nacht aufs Sofa in der Küche legte. Er wachte mit steifem Nacken und schmerzenden Muskeln auf. Pernilla wollte ihre Reise möglichst schnell fortsetzen, also machte Mikael Frühstück und brachte sie dann zum Bahnhof. Sie hatten noch ein bisschen Zeit, kauften sich im Zeitschriftenladen in der Bahnhofshalle zwei Becher Kaffee, setzten sich auf eine Bank am Ende des Bahnsteigs und redeten über alles Mögliche. Kurz bevor der Zug kam, wechselte sie das Thema.
»Es gefällt dir nicht, dass ich nach Skellefteå fahre«, stellte sie plötzlich fest.
Mikael wusste nicht recht, was er antworten sollte.
»Das ist nichts Gefährliches. Aber du bist kein Christ, oder?«
»Nein, zumindest bin ich kein guter Christ.«
»Glaubst du nicht an Gott?«
»Nein, ich glaube nicht an Gott, aber
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