Verblendung
Harriet war meine Schwester, aber irgendwie ist das alles schon so weit weg. Frode hat gesagt, dass Sie einen wasserdichten Vertrag mit Henrik hätten, der nur von ihm selbst aufgelöst werden kann. Ich fürchte, in seinem derzeitigen Zustand würde das mehr schaden als nützen.«
»Sie wollen also, dass ich weitermache.«
»Haben Sie denn schon irgendetwas gefunden?«
»Tut mir leid, Martin, aber es wäre ein Vertragsbruch, wenn ich darüber mit Ihnen ohne Henriks Erlaubnis sprechen würde.«
»Verstehe.« Plötzlich lächelte er. »Henrik hat was übrig für Verschwörungstheorien. Aber ich will vor allem nicht, dass Sie falsche Hoffnungen in ihm wecken.«
»Das werde ich nicht tun, ich verspreche es Ihnen. Ich gebe nur Fakten an ihn weiter, die ich belegen kann.«
»Gut … übrigens, wo wir gerade dabei sind … wir haben da ja noch einen anderen Vertrag, über den wir nachdenken müssten. Da Henrik krank geworden ist und seine Aufgaben bei Millennium nicht wahrnehmen kann, bin ich verpflichtet, ihn zu vertreten.«
Mikael wartete.
»Wir sollten eine Sitzung der Führungskräfte einberufen, um die Lage zu klären.«
»Das ist eine gute Idee. Aber soweit ich informiert bin, soll die nächste Sitzung erst im August stattfinden.«
»Ich weiß, aber eventuell müssen wir das vorverlegen.«
Mikael lächelte höflich.
»Vielleicht sprechen Sie da einfach mit dem Falschen. Derzeit sitze ich gar nicht im Führungskreis von Millennium . Ich habe die Zeitschrift im Dezember verlassen und keinen Einfluss auf das, was auf der Führungsebene geschieht. Ich schlage vor, dass Sie sich in dieser Frage mit Erika Berger in Verbindung setzen.«
Mit dieser Antwort hatte Martin Vanger nicht gerechnet. Er überlegte kurz und stand auf.
»Sie haben natürlich recht. Ich werde mit ihr sprechen.« Er klopfte Mikael zum Abschied auf die Schulter und ging zu seinem Auto.
Mikael sah ihm hinterher. Es war nichts Konkretes ausgesprochen worden, aber die Drohung stand deutlich im Raum. Martin Vanger hatte Millennium in die Waagschale geworfen. Nach einer Weile goss Mikael sich noch einen Schnaps ein und nahm seinen Roman wieder zur Hand.
Gegen neun Uhr kam die braun gesprenkelte Katze vorbei und strich ihm um die Beine. Er hob sie hoch und kraulte sie hinter den Ohren.
»Dann sind wir ja schon zwei, die sich am Mittsommerabend langweilen«, sagte er.
Als die ersten Regentropfen fielen, ging er hinein. Die Katze wollte draußen bleiben.
Am Mittsommertag nahm sich Lisbeth Salander ihre Kawasaki vor und checkte sie einmal gründlich durch. So eine 125 Kubik-Maschine war sicher nicht das beeindruckendste Gefährt auf Erden, aber dafür gehörte sie ihr, und sie konnte gut mit ihr umgehen. Sie hatte sie eigenständig Schraube für Schraube instand gesetzt - und dabei ein bisschen mehr frisiert, als legal gewesen wäre.
Nachmittags schnappte sie sich Helm und Lederjacke und fuhr hinaus zum Pflegeheim Äppelviken, wo sie den Abend mit ihrer Mutter im Park verbrachte. Lisbeths Sorge und ihr schlechtes Gewissen versetzten ihr einen Stich. Ihre Mutter schien abwesender denn je. Während der drei Stunden, die sie miteinander verbrachten, wechselten sie nur ein paar wenige Worte, und augenscheinlich war ihrer Mutter dabei nicht bewusst, mit wem sie eigentlich redete.
Mikael vergeudete mehrere Tage damit, nach dem Auto mit dem AC-Nummernschild zu suchen. Nach jeder Menge Kopfzerbrechen konsultierte er schließlich einen pensionierten Kfz-Mechaniker in Hedestad und erfuhr, dass das Auto ein Ford Anglia war, ein damals gängiger Autotyp, von dem er noch nie gehört hatte. Danach kontaktierte er einen Mitarbeiter der Kfz-Meldestelle und erkundigte sich, ob er ein Verzeichnis sämtlicher Ford Anglia bekommen könne, die 1966 ein Nummernschild gehabt hatten, das mit AC3 anfing. Nach einigem Hin und Her ließ sich der Mitarbeiter überreden - obgleich es eigentlich nicht rechtens sei und ein wenig dauern könnte, wie er sagte.
Erst ein paar Tage nach Mittsommer setzte Mikael sich in seinen geliehenen Volvo und fuhr auf der E4 gen Norden. Er war noch nie gerne schnell gefahren und steuerte das Auto ganz gemütlich bis kurz vor die Härnsands-Brücke, wo er eine Pause machte und einen Kaffee in Vesterlunds Konditorei trank.
Der nächste Halt war Umeå, wo er eine Raststätte ansteuerte und das Tagesmenü bestellte. Er kaufte sich einen Straßenatlas und fuhr weiter nach Skellefteå, wo er nach links in Richtung Norsjö abbog. Gegen sechs
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