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Verblendung

Verblendung

Titel: Verblendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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Das ist gar kein historisches Rätsel. Martin Vanger bringt heute noch Frauen um. Und ich bin völlig ahnungslos reingerannt …
    »Ich habe gerade keinen Gast. Aber es wird Sie vielleicht amüsieren zu erfahren, dass im Winter und im Frühjahr, während Sie und Henrik beieinandersaßen und schwatzten, ein Mädchen hier unten war. Sie hieß Irina und kam aus Weißrussland. Als Sie bei mir zu Abend aßen, saß sie hier in diesem Käfig eingesperrt. Das war doch ein netter Abend, nicht wahr?«
    Martin Vanger setzte sich auf den Tisch und ließ die Beine baumeln. Mikeal blinzelte. Er musste plötzlich sauer aufstoßen und schluckte kräftig.
    »Was machen Sie mit den Leichen?«
    »Ich habe das Boot genau hier unten am Anlegesteg. Ich nehme sie weit mit hinaus aufs Meer. Im Unterschied zu meinem Vater hinterlasse ich keine Spuren. Aber auch er war geschickt. Er hat seine Opfer über ganz Schweden verstreut.«
    In Mikaels Kopf fielen die Puzzleteilchen langsam, aber sicher an ihren Platz.
    Gottfried Vanger. Von 1949 bis 1965. Danach übernahm Martin Vanger, 1966 in Uppsala.
    »Sie bewundern Ihren Vater.«
    »Er hat mir alles beigebracht. Er hat mich initiiert, als ich vierzehn Jahre alt war.«
    »Uddevalla. Lea Persson.«
    »Genau. Ich war dabei. Ich habe nur zugeguckt, aber ich war dabei.«
    »1964, Sara Witt in Ronneby.«
    »Ich war sechzehn. Da habe ich zum ersten Mal eine Frau gehabt. Gottfried hat es mir beigebracht. Ich habe sie erwürgt.«
    Er gibt damit an. Großer Gott, was für eine durch und durch kranke Familie.
    »Sie begreifen doch wohl selbst, dass das hier völlig krank ist?«
    Martin Vanger zuckte leicht mit den Schultern.
    »Ich glaube nicht, dass Sie verstehen können, wie göttlich es ist, volle Kontrolle über Leben und Tod eines Menschen zu haben.«
    »Sie genießen es, Frauen zu foltern und zu ermorden, Martin.«
    Der Konzernchef überlegte kurz, den Blick auf einen leeren Fleck an der Wand hinter Mikael gerichtet. Dann lächelte er sein charmantes, blendendes Lächeln.
    »Das glaube ich eigentlich nicht. Wenn ich meinen Zustand intellektuell analysiere, stelle ich fest, dass ich eher ein Serienvergewaltiger als Serienmörder bin. Eigentlich bin ich ein Serienkidnapper. Dass ich die Frauen töte, ist nur die natürliche Konsequenz - ich muss meine Verbrechen schließlich verbergen. Das verstehen Sie doch?«
    Mikael wusste nicht, was er antworten sollte, und nickte nur. »Natürlich sind meine Taten sozial nicht akzeptabel, aber mein Verbrechen ist in erster Linie ein Verbrechen gegen die Konventionen der Gesellschaft. Der Tod kommt erst am Ende des Aufenthalts meiner Gäste, wenn ich ihrer überdrüssig geworden bin. Es ist immer wieder faszinierend, ihre Enttäuschung zu sehen.«
    »Enttäuschung?«, fragte Mikael verblüfft.
    »Genau. Enttäuschung. Sie glauben, wenn sie mir zu Willen sind, dann werden sie überleben. Sie unterwerfen sich meinen Regeln. Sie fangen an, mir zu vertrauen, beginnen einen Kameraden in mir zu sehen, und bis zum Schluss hoffen sie, dass diese Kameradschaft etwas bedeutet. Die Enttäuschung kommt dann, wenn sie merken, dass ich sie an der Nase herumgeführt habe.«
    Martin Vanger ging um den Tisch herum und lehnte sich gegen den Stahlkäfig.
    »Sie mit Ihren kleinbürgerlichen Konventionen werden das nie verstehen, aber die Spannung liegt darin, die Entführung zu planen. Solche Dinge darf man nicht spontan machen - solche Kidnapper werden immer geschnappt. Es ist die reinste Wissenschaft, ich muss dabei tausend Details berücksichtigen. Ich muss eine Beute finden und ihr Leben erforschen. Wer ist sie? Woher kommt sie? Wie kann ich an sie rankommen? Wie stelle ich es an, dass ich mit meiner Beute einmal allein sein kann, ohne dass mein Name ins Spiel kommt oder irgendwann in einer zukünftigen polizeilichen Ermittlung auftaucht?«
    Hör auf, dachte Mikael. Martin Vanger redete über Kidnapping und Mord in einem fast schon akademischen Ton, als hätte er in irgendeiner esoterischen oder theologischen Frage eine abweichende Meinung.
    »Interessiert Sie das wirklich, Mikael?«
    Er beugte sich herab und strich Mikael über die Wange. Seine Berührung war behutsam, beinahe zärtlich.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
    Mikael schüttelte den Kopf. »Sie können mir gerne eine Zigarette anbieten«, erwiderte er.
    Martin Vanger erfüllte ihm den Wunsch und zündete zwei Zigaretten an. Eine davon steckte er Mikael zwischen die Lippen und ließ ihn einmal ziehen.
    »Danke«,

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