Verblendung
gesagt, was ich hören wollte.«
Mikael stand auf und ging zur Spüle hinüber. Dann drehte er sich zu Frode um und fasste seine Gefühle in zwei Worten zusammen.
»Verschwinden Sie!«
»Mikael … ich bedaure, dass …«
»Dirch. Gehen Sie.«
Lisbeth wusste nicht, ob sie zu Mikael gehen oder ihn in Ruhe lassen sollte. Er löste das Problem, indem er sich plötzlich wortlos seine Jacke griff und die Haustür hinter sich zuknallte.
Über eine Stunde tigerte sie in der Küche auf und ab. Sie war so unglücklich, dass sie sich das Geschirr vornahm und abwusch - eine Aufgabe, die sie sonst Mikael überließ. Ab und zu ging sie ans Fenster und hielt nach ihm Ausschau. Schließlich wurde sie so unruhig, dass sie ihre Lederjacke anzog und hinausging, um ihn zu suchen.
Sie eilte zuerst zum Kleinboothafen hinunter, wo in den Häusern immer noch Licht brannte, aber weit und breit war kein Mikael zu sehen. Dann lief sie am Wasser entlang, wo Mikael und sie abends oft spazieren gingen. Martin Vangers Haus war dunkel und wirkte bereits unbewohnt. Sie ging bis zu den Steinen auf der Landzunge, wo Mikael und sie bei anderer Gelegenheit gesessen hatten, dann lief sie nach Hause. Er war noch nicht zurückgekommen.
Sie stattete der Kirche einen Besuch ab. Auch hier kein Mikael. Eine Weile blieb sie unschlüssig stehen. Dann kehrte sie um, holte eine Taschenlampe aus der Satteltasche ihres Motorrads und ging noch einmal am Wasser entlang. Es dauerte eine Weile, auf dem halb überwucherten Weg voranzukommen, und noch länger, um den Pfad zu Gottfrieds Häuschen zu finden. Als sie schon fast dort war, tauchte es schließlich hinter ein paar Bäumen aus der Dunkelheit auf. Mikael war nicht auf der Veranda zu sehen, die Tür war abgeschlossen.
Sie war schon auf dem Rückweg, als sie noch einmal innehielt, umkehrte und ganz bis ans Wasser hinunterging. Plötzlich sah sie Mikaels Silhouette in der Dunkelheit. Er saß auf dem Bootssteg, an dem Harriet ihren Vater ertränkt hatte. Erst in diesem Moment konnte sie erleichtert ausatmen.
Er hörte ihre Schritte auf den Planken und drehte sich um. Wortlos setzte sie sich neben ihn. Schließlich brach er das Schweigen.
»Entschuldige. Ich musste nur eine Weile alleine sein.«
»Ich weiß.«
Sie steckte zwei Zigaretten an und gab ihm eine. Er sah sie an. Lisbeth war der unsozialste Mensch, den er jemals getroffen hatte. Für gewöhnlich ignorierte sie jeden seiner Versuche, über persönliche Dinge zu sprechen, und nicht ein einziges Mal hatte sie ihm ihre Sympathie bekundet. Sie hatte ihm das Leben gerettet, und jetzt war sie mitten in der Nacht losgezogen, um ihn zu suchen. Er legte einen Arm um sie.
»Jetzt weiß ich, für welchen Preis man mich kaufen kann. Wir haben diese Frauen verraten«, sagte er. »Die werden die ganze Geschichte vertuschen. Alles, was in Martins Keller geschah, wird totgeschwiegen.«
Lisbeth entgegnete nichts.
»Erika hatte recht«, fuhr er fort. »Ich hätte für einen Monat nach Spanien fahren, mich mit ein paar Spanierinnen vergnügen und dann heimkommen sollen, um mir Wennerström vorzuknöpfen. Jetzt habe ich Monate nutzlos vergeudet.«
»Wenn du nach Spanien gefahren wärst, dann hätte Martin seine Verbrechen fortgesetzt.«
Schweigen. Sie blieben eine ganze Weile nebeneinander sitzen, bis er aufstand und vorschlug, nach Hause zu gehen.
Mikael schlief vor Lisbeth ein. Sie konnte nicht schlafen und lauschte seinen Atemzügen. Dann ging sie in die Küche und machte sich einen Kaffee, setzte sich aufs Küchensofa und rauchte mehrere Zigaretten, während sie intensiv nachdachte. Dass Vanger und Frode Mikael ausgenutzt hatten, betrachtete sie als selbstverständlich. Das lag in ihrer Natur. Aber das war Mikaels Sache und nicht ihr Problem. Oder?
Schließlich fasste sie einen Entschluss. Sie drückte ihre Zigarette aus, ging zu Mikael, machte die Nachttischlampe an und rüttelte ihn wach. Es war halb drei Uhr morgens.
»Ich habe eine Frage. Setz dich mal auf.«
Mikael setzte sich auf und sah sie schlaftrunken an.
»Als du damals angeklagt wurdest - warum hast du dich nicht verteidigt?«
Mikael schüttelte den Kopf und sah ihr in die Augen. Dann warf er einen Blick auf die Uhr.
»Das ist eine lange Geschichte, Lisbeth.«
»Erzähl. Ich hab Zeit.«
Er schwieg eine geraume Weile und überlegte, was er sagen sollte. Schließlich entschied er sich für die Wahrheit.
»Ich konnte mich nicht verteidigen. Der Inhalt meines Artikels war
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