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Wahl.
Ich bitte Sie, sowohl als Freund als auch in meiner Eigenschaft als Teilhaber von Millennium, die Wahrheit über Gottfried und Martin nicht öffentlich zu machen. Ich weiß, dass das falsch ist, aber ich sehe keinen anderen Ausweg aus dieser Finsternis. Ich habe die Wahl zwischen zwei schlimmen Alternativen, und hier kann es nur Verlierer geben.
Ich bitte Sie, nichts zu schreiben, was Harriet noch mehr schaden könnte. Sie haben selbst erlebt, was es bedeutet, im Mittelpunkt einer Medienkampagne zu stehen. Die Kampagne gegen Sie hatte dabei noch bescheidene Ausmaße - wahrscheinlich können Sie sich vorstellen, wie es für Harriet aussehen würde, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Sie hat sich vierzig Jahre lang gequält und soll nicht weiter für die Taten leiden müssen, die ihr Bruder und ihr Vater begangen haben.
Und ich bitte Sie, denken Sie darüber nach, was für Konsequenzen diese Geschichte für Tausende Angestellte unseres Konzerns haben könnte. Sie würde daran zerbrechen, und wir wären vernichtet.
Henrik
»Henrik sagt außerdem, wenn Sie eine Entschädigung für den Verdienstausfall wünschen, der Ihnen entsteht, wenn Sie diese Geschichte nicht publizieren, dann ist er gerne zur Diskussion bereit. Sie können eine beliebige finanzielle Forderung stellen.«
»Henrik Vanger versucht, mich mundtot zu machen. Richten Sie ihm aus, ich wünschte, er hätte mir dieses Angebot nicht gemacht.«
»Diese Situation ist für Henrik genauso schmerzlich wie für Sie. Er mag Sie sehr und betrachtet Sie als Freund.«
»Henrik ist ein cleverer Mistkerl«, sagte Mikael. Plötzlich war er unglaublich wütend. »Er will die ganze Geschichte vertuschen. Er nutzt meine Gefühle aus; er weiß ja, dass ich ihn auch mag. Und was er sagt, bedeutet praktisch: Ich kann veröffentlichen, was ich will, aber wenn ich das mache, dann muss er seine Einstellung zu Millennium revidieren.«
»Als Harriet auftauchte, hat sich alles verändert.«
»Und jetzt möchte Henrik mal genauer wissen, für welchen Preis ich zu haben bin. Ich habe nicht vor, Harriet öffentlich bloßzustellen, aber irgendjemand muss etwas über die Frauen sagen, die in Martins Keller landeten. Dirch, wir wissen nicht einmal, wie viele Frauen er abgeschlachtet hat. Wer soll sich ihres Schicksals annehmen?«
Lisbeth Salander blickte plötzlich von ihrem Computer auf. Ihre Stimme war schrecklich sanft, als sie das Wort an Dirch Frode richtete.
»Gibt es denn niemand im Konzern, der mich zum Schweigen bringen will?«
Frode sah verblüfft aus. Er hatte ihre Existenz wieder einmal ignoriert.
»Wenn Martin Vanger in diesem Moment noch am Leben wäre, dann hätte ich alles öffentlich gemacht«, fuhr sie fort. »Egal, welche Vereinbarung Mikael mit Ihnen getroffen hat, ich hätte jedes Detail an die nächste Abendzeitung weitergegeben. Und wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, dann hätte ich ihn in seinen eigenen Folterkeller mitgenommen, ihn auf diesem Tisch festgeschnallt und ihm Nägel durch den Sack getrieben. Aber er ist tot.«
Sie wandte sich an Mikael.
»Ich bin zufrieden mit der Lösung. Nichts, was wir tun, könnte die Leiden ungeschehen machen, die Martin Vanger seinen Opfern zugefügt hat. Allerdings ist jetzt eine interessante Konstellation entstanden. Auch du könntest unschuldigen Frauen Leid zufügen - nicht zuletzt Harriet, die du eben noch so feurig verteidigt hast. Ich frage dich also: Was ist schlimmer - dass Martin Vanger sie in Gottfrieds Häuschen vergewaltigt hat oder dass du dasselbe durch die Schlagzeilen tun willst? Nettes Dilemma. Vielleicht kann dir ja der Ethikausschuss des Journalistenverbandes weiterhelfen.«
Sie machte eine Pause. Mikael konnte Lisbeth plötzlich nicht mehr in die Augen sehen. Er starrte auf den Tisch.
»Aber ich bin natürlich keine Journalistin«, fügte sie schließlich hinzu.
»Was fordern Sie?«, fragte Dirch Frode.
»Martin hat seine Opfer mit einer Videokamera gefilmt. Ich will, dass Sie versuchen, so viele wie möglich zu identifizieren, und dafür sorgen, dass ihre Familien ein angemessenes Schmerzensgeld erhalten. Außerdem will ich, dass der Vanger-Konzern jährlich zwei Millionen Kronen für die ROKS, die Zentralorganisation der Frauenhäuser in Schweden, zur Verfügung stellt.«
Frode dachte ein paar Minuten über diesen Preis nach. Dann nickte er.
»Kannst du damit leben, Mikael?«, fragte Lisbeth.
Mikael war auf einmal verzweifelt. Während seines gesamten Berufslebens hatte er
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