Verblendung
die Wennerström-Affäre als eine Verkettung ungünstiger Zustände betrachtet. Sie bedauert die Ungelegenheiten, die Hans-Erik Wennerström bereitet wurden. Mikael Blomkvist war für einen Kommentar nicht zu erreichen.
»Ich finde das schrecklich«, hatte Erika gesagt, als die Pressemitteilung rausging. »Die meisten werden die Schlussfolgerung ziehen, dass du ein unfähiger Idiot bist und ich ein eiskaltes Miststück, das die erstbeste Gelegenheit ergreift, dir den Genickschuss zu verpassen.«
»Wenn man bedenkt, was für Gerüchte über uns schon im Umlauf sind, hat unser Freundeskreis jetzt jedenfalls was Neues zum Klatschen«, versuchte Mikael zu scherzen. Sie fand das überhaupt nicht lustig.
»Ich habe keinen Plan B, aber ich glaube, wir begehen hier einen Fehler.«
»Es ist die einzige Lösung«, erwiderte Mikael. »Wenn das Magazin zugrunde geht, war die ganze Mühe umsonst. Du weißt, dass wir bereits viele Einbußen hatten. Was ist übrigens mit dieser Computerfirma geworden?«
Sie seufzte. »Tja, sie haben heute Morgen mitgeteilt, dass sie nicht in der Januarnummer inserieren wollen.«
»Wennerström hat bei denen einen beträchtlichen Aktienanteil. Das kann doch kein Zufall sein.«
»Nein, aber wir können neue Anzeigenkunden an Land ziehen. Wennerström mag ja ein Finanzmogul sein, aber ihm gehört nicht die ganze Welt, und wir haben unsere eigenen Kontakte.«
Mikael umarmte Erika und drückte sie an sich.
»Eines Tages werden wir Hans-Erik Wennerström dermaßen eins überziehen, dass die Wall Street bebt. Aber nicht heute. Millennium muss erst mal aus der Schusslinie. Wir dürfen nicht riskieren, dass das Vertrauen in unsere Zeitung völlig kaputtgemacht wird.«
»Ich weiß das alles, aber ich sehe aus wie ein verdammtes Luder, und du gerätst in eine abscheuliche Lage, wenn wir so tun, als wären wir geschiedene Leute.«
»Ricky, solange wir uns aufeinander verlassen können, haben wir auch eine Chance. Wir müssen unserer Intuition vertrauen, und momentan ist einfach Rückzug angesagt.«
Widerwillig hatte sie zugegeben, dass seine Schlussfolgerungen einer bedrückenden Logik folgten.
4. Kapitel
Montag, 23. Dezember - Donnerstag, 26. Dezember
Erika war übers Wochenende bei Mikael Blomkvist geblieben. Im Großen und Ganzen hatten sie das Bett nur für Toilettenbesuche und zum Essenkochen verlassen. Doch hatten sie sich nicht nur geliebt, sondern auch stundenlang Kopf an Fuß im Bett gelegen und über ihre Zukunft diskutiert, Konsequenzen, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten gegeneinander abgewägt. Als der Montagmorgen graute, war es ein Tag vor Heiligabend. Erika hatte ihm einen Abschiedskuss gegeben - until the next time - und war nach Hause zu ihrem Mann gefahren.
Mikael verbrachte den Montag damit, erst einmal abzuwaschen und die Wohnung sauber zu machen. Danach ging er in die Redaktion, um sein Büro auszuräumen. Er hatte keinen Augenblick ernsthaft vor, mit der Zeitschrift zu brechen, aber er hatte Erika zu guter Letzt davon überzeugt, dass es in absehbarer Zukunft wichtig war, den Namen Mikael Blomkvist von dem des Magazins deutlich abzugrenzen. Bis auf Weiteres wollte er von seiner Wohnung in der Bellmangata aus arbeiten.
Er war allein in der Redaktion, denn über Weihnachten hatten alle Mitarbeiter frei. Er verstaute gerade Papiere und Bücher in einem Umzugskarton, als plötzlich das Telefon klingelte.
»Ich würde gerne Mikael Blomkvist sprechen«, sagte eine hoffnungsvolle, aber unbekannte Stimme am anderen Ende.
»Am Apparat.«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie so einfach einen Tag vor Weihnachten störe. Mein Name ist Dirch Frode.« Mikael notierte sich automatisch Namen und Uhrzeit. »Ich bin Anwalt und vertrete einen Mandanten, der sich sehr gerne mit Ihnen unterhalten würde.«
»Na ja, dann bitten Sie Ihren Mandanten doch einfach, mich anzurufen.«
»Ich wollte damit sagen, dass er Sie persönlich treffen möchte.«
»In Ordnung, lassen Sie sich einen Termin geben und schicken Sie ihn in die Redaktion. Aber Sie müssen sich beeilen, ich räume gerade meinen Schreibtisch aus.«
»Mein Mandant hätte furchtbar gerne, dass Sie ihn besuchen. Er wohnt in Hedestad, das wären nur drei Stunden mit dem Zug.«
Mikael hielt im Papiersortieren inne. Die Massenmedien haben ein Talent dafür, die gestörtesten Menschen anzuziehen, die dann mit den verrücktesten Tipps anrufen. Jede Zeitungsredaktion auf der Welt bekommt Anrufe von Ufologen, Grafologen,
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