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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Stadt hieß ihn nicht willkommen. Im Winter gab es in Athen nur wenige Touristen und nicht genug Arbeit. Die Zeitungen waren voll von schlechten und immer noch schlechteren Nachrichten. In Istanbul beharrte die Front der Vorkämpfer für den Islamischen Großen Osten darauf, den britischen Generalkonsul getötet zu haben. Die Bauarbeiten für die Olympischen Spiele in Athen hinkten dem Zeitplan acht Monate hinterher, die Kosten waren auf das Vierfache gestiegen, und wer würde am Ende die Zeche zahlen, wenn nicht der kleine Mann? Auf Symi waren drei junge Männer umgekommen, als sie auf einer Hochzeitsfeier mit Dynamit hantierten, das sie aus einer Straßenbauarbeiterhütte gestohlen hatten; die Explosion hatte nichts übrig gelassen, die Leichen waren verdampft. In Lavrio war ein pensionierter General von seiner Jacht gekidnappt worden; das Boot hatte man auf dem Meer treibend gefunden, wie ein aus Seemannsgarn gesponnenes Geisterschiff. Anarchisten hatten Brandbomben auf das Gebäude eines Fährunternehmens in Piräus geworfen, und der Verband der Kioskverkäufer drohte wegen der Lizenzvergabe an albanische Händler mit Streik; Konzessionen hatten bisher nur invalide Kriegsveteranen erhalten, und ihr populäres Anliegen trübte die allgemeine Stimmung mehr als alles andere. Die Stadt war weder gastlich noch ungastlich, sie nahm schlicht keine Notiz von ihm und strahlte eine schimmernde, eilige Kühle aus, die ihn an die schlimmsten Seiten Englands erinnerte. Er saß allein unter dem sparrenlosen Dachvorsprung des Parthenon, der Regen tropfte auf die Stufen, und er dachte daran, was er zurückgelassen hatte.
     
Er brauchte Arbeit. Er musste unter Menschen sein, musste mit ihnen arbeiten, aber es gab keine Arbeit. Sein Geld ging bereits zur Neige, doch er brauchte nicht so sehr den Lebensunterhalt als vielmehr das Leben selbst. Schon immer war dieser Drang in ihm gewesen. Mit anderen zusammen zu sein, dazuzugehören. Er war kein Mensch, der für sich allein glücklich sein konnte.
    Die Pensionswirtin hob ihm die Stellenanzeigen aus der Zeitung auf. Er fand zwei Angebote, die vielleicht in Frage gekommen wären, wenn auch beide unter seinem Niveau, eine in Piräus, die andere weit außerhalb im industriellen Ballungsraum von Megara. Doch die Stellen waren schon besetzt, als er anrief, und andere waren nicht in Aussicht.
    Die Tage waren substanzlos, sie veränderten sich rasch, stets drohte Regen, aber immer wieder brach die Sonne durch und ließ Alleen und Plätze in plötzlicher Klarheit wie verzaubert aufleuchten, so dass er in einer Straße mit geschlossenen Geschäften oder unter struppigen Orangenbäumen abrupt stehen blieb und sich fragte, wie diese Pracht an einem solchen Ort möglich war.
     
Er träumte von den Frauen in seinem Leben. Sie saßen mit ihm im Flugzeug. Irgendwie – er wusste nicht, wie oder warum – waren sie mitgekommen.
    Emine saß am Fenster und blickte zu den Sternen hinaus. Ihre Augen waren nicht ihre, es waren auch gar keine Menschenaugen. Sie waren groß und grausam wie die eines Vogels. Vanessa schlief in Emines Armen. Anfangs wünschte er sich, es wäre Wirklichkeit, trotz dieses unmenschlichen Blicks und obwohl er in irgendeiner Windung seines Gehirns wusste, dass es nicht sein konnte. Dann überschwemmte ihn eine Welle der Klaustrophobie.
    »Ihr seid nicht hier«, sagte er zu ihnen. »Ihr solltet nicht bei mir sein. Fahrt nach Hause. Fahrt nach Hause!«
    Doch Emine lächelte nur und schüttelte den Kopf, und Nessie wachte auf und fing an zu weinen. Ihre Lippen waren zugenäht. Die losen Fadenenden waren blutverkrustet.
     
    Am Montag, als er in seinem antiquierten Griechisch Röstkastanien zu kaufen versuchte, kamen ihm zwei Studentinnen aus Korinth zur Hilfe. Bei Kaffee und Zigaretten fragten sie ihn über England aus, zeigten ihm Bilder von London, wie sie es kannten – eine Studentenkneipe, eine regentrübe Dönerreklame –, und als er sagte, dass er Arbeit suche, wollten sie ihm unbedingt helfen.
    Mit dem glitzernden Handy eines der Mädchen riefen sie ihren Onkel an, den Inhaber eines Grillrestaurants im Vorort Metamorphosis. Er akzeptierte die Bedingungen unbesehen: Ja, er würde kellnern und Geschirr spülen (ob er spülen könne. Ja, er denke schon), gegen die Trinkgelder und noch etwas obendrauf, plus Unterkunft und Verpflegung. Ob er ein Steak braten könne. Sehr gut. Ben heiße er, nicht wahr? Ein guter biblischer Name. Die Gäste seien ein bisschen ungehobelt diesen

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