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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Denken. Die Art und Weise, wie man Geschichte freilegen konnte.
    Der Tote in der Grabgrube und die Kerbe in seinem Schädel, die Bedeutung seines Schmucks und die Art seiner Opferung, der Pollen im Gift in dem Weinschlauch zu seinen Füßen… All das konnte man entdecken. Konnte es wiederentdecken. Alles würde am Ende antworten, wenn man wusste, wie man es zu befragen hatte. War man geduldig und hörte zu, dann sprach die Erde selbst.
    Er dachte an Nessies Stimme an dem Tag, als er sie verlassen hatte.
    Der Morgennebel hatte sich langsam gelichtet. Der Himmel darüber war makellos grau gewesen, als läge Oxford unter einem nördlichen Meer. Vorsichtig wie ein Stalker hatte er auf dem Platz, an dem Foyt wohnte, gehalten und den Motor abgestellt. Zwischen den Kiefern hindurch sah man das Haus. Im Erdgeschoss brannte Licht. Foyts Auto stand noch in der Einfahrt.
    Er wollte sie sehen, ein letztes Mal, aber als es so weit war, konnte er Foyt nicht noch einmal gegenübertreten. Wie ein Feigling blieb er im Auto sitzen und wählte auf seinem Handy die Nummer. Die Straßenlaternen, noch auf Winterzeit eingestellt, brannten noch und waren von einem Hof aus erleuchtetem Nebel umgeben. Er wartete und schaute durch die Bäume zum Haus hinüber.
    Das Au-pair-Mädchen hob ab, eine unscheinbare Person, deren Namen er immer wieder vergaß. Foyt hatte sie über eine der zahlreichen Oxforder Sprachschulen engagiert.
    »Hier ist Ben.«
    »Ben?«
    »Vanessas Vater. Kann ich sie sprechen?«
    Eine Stimme im Hintergrund. Das Mädchen hielt die Sprechmuschel zu, doch er hatte seinen Namen und Foyts Stimme gehört. Sag ihm …
    Dann sprach wieder das Au-pair-Mädchen. Foyt wollte offenbar nicht mit ihm reden, schickte sie vor.
    »Sie können später anrufen? Jetzt sie frühstückt, und dann wir gehen in den Kindergarten…«
    »Nur ganz kurz. Oder nein, ich bin hier gleich um die Ecke, ich kann vorbeikommen…«
    »Jetzt? Nein, jetzt passt nicht.«
    Sunniva, so hieß sie. Sie hatte schon immer einen mürrischen Eindruck auf ihn gemacht, wenn er Ness besuchte, und sie klang auch jetzt verdrossen, als hätte sie den Anruf einer Freundin erwartet und stattdessen einen Werbeanruf in der Leitung.
    »Sie können im Kindergarten anrufen?«
    »Wie? Nein. Hören Sie, Sunniva…«
    » Su nniva.«
    »Sag ich doch…«
    »Sie fahren weg, ja? In Urlaub. Griechenland. Sagt Emine.«
    »Das ist kein Urlaub.«
    »Das wird schön für Sie.«
    Er schloss die Augen. Dann wallte Zorn in ihm auf, sinnlos und hoffnungslos. Das passierte jetzt oft. Es war, als wären seine Zornreserven in den Monaten seit der Trennung angewachsen. Es war, als hätte er ein ganzes Meer davon in sich, kalt, wogend und unfreundlich. Das machte ihm Angst. Er wurde so schnell wütend, manchmal auf völlig Fremde wie den Albaner Kostandin, öfter aber auf die, die er liebte, am häufigsten auf Emine, so dass er sich selbst, sosehr er sich auch wünschte, sie zu sehen, im Umgang mit ihr nicht mehr trauen konnte. Er hatte schreckliche Träume. Brach ihren Schädel auf und stemmte die Teile auseinander, um herauszufinden, was darin für ihn noch übrig war.
    Doch das waren nur Gedanken. Nie hätte er sie angerührt. Obwohl, einmal hatte er es schon getan, wie unter einem Zwang. Und dieses eine Mal war für sie beide mehr als genug gewesen.
    »Hallo?«
    Die Stimme des Mädchens hatte sich verändert. Sie klang jetzt streng und förmlich, als spräche sie mit einem störrischen Kind.
    »Ich möchte mit meiner Tochter sprechen.«
    »Wir kommen zu spät in Kindergarten, und sie ist noch nicht angezogen.«
    »Ich brauche sie nicht angezogen, ich brauche nur…«
    »Wenn Sie wollen, Sie können mit dem Professor sprechen.«
    »Um Himmels willen…«
    Von irgendwo weiter weg drang verzerrt eine andere Stimme an sein Ohr, hoch und schrill. Ein Seufzen war zu hören, dann das Aufschlagen des Telefons, ein sich nähernder lautstarker Wortwechsel und schließlich heftiges Atmen.
    » Daddy.«
    »Zwerglein.«
    »Ich heiß nicht Zwerglein.«
    »Nein? Dann hab ich mich wohl verwählt. Wer spricht denn da?«
    »Ich, aber ich heiß nicht Zwerglein.«
    Ein Schatten am Küchenfenster. Die Jalousie wurde dunkel, seine Feinde tauchten auf und verschwanden wieder.
    »Wie denn dann?«
    »Das weißt du doch, du hast doch meinen Namen ausgesucht. «
    »Heißt du Nessie?«
    »Ja.«
    »Hallo, Nessie.«
    Bis er ihren Namen ausgesprochen hatte, war bereits all sein Zorn verflogen.
    »Daddy, wie alt bist du?«
    »Wie

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