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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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triste Zimmer störte ihn nicht, aber nun war er zum Stillstand gekommen, und ihm war beklommen zumute. Es beunruhigte ihn, dass er aus seinem alten Leben herausgetreten und dann so schnell hier gelandet war. In einem Zimmer über einem Grillrestaurant, in den Außenbezirken einer fremden Stadt.
    Als hätte er irgendwo den Weg verfehlt. Als wäre er an irgendeiner Ecke in die falsche Straße abgebogen, ohne es zu merken, und steuerte nun auf einen dunklen, unerwarteten Ort zu.
    »Ist nicht so schlimm.«
    Als er sich umdrehte, sah der Mann ihn an. Er hatte ihn auf Englisch angesprochen. Er nahm seine Zigarette in die linke Hand und streckte ihm die rechte entgegen.
    »Kostandin.«
    »Ben.«
    »Engländer, ja?«
    »Woher weißt du das?«
    »Du siehst englisch aus.« Kostandin lächelte. Es war ein angenehmes Lächeln, schief und ironisch. »Vielleicht der Boss hat auch gesagt.«
    »Wie ist der so?«
    »Wie ein Boss. Setz dich, setz dich!«
    Er winkte Ben heran, zog seine Beine aus dem Weg und schubste ihm seine Zigarettenpackung über das Laken zu. Seine Augen lagen tief in den dunklen Höhlen.
    »Ist meistens in Urlaub. Wenn ist hier, traut niemand.« Er deutete mit dem Kinn auf Bens Rucksack. »Nicht mir, nicht dir, nicht seiner Frau. Nur seinem Sohn. Bei dem du musst aufpassen. Bei mir in Heimat man sagt, Gib einem Griechen die Hand, dann zähl deine Finger . Beim Boss du sie zählst, beim Jungen du schaust, ob sie bluten.«
    Ben nickte verlegen und suchte nach einer passenden Antwort.
    »Wie lange bist du schon hier?«
    »Zu lange. Zwei Jahre. Bezahlung ist scheiße, Essen ist gut, Zimmer … du siehst. Viel Arbeit. Besser, wenn viel zu tun, dann die Zeit vergeht schneller. Aber der Boss ist okay. Zimmer ist gratis.«
    Ben fror noch immer. Seine Sachen waren nass. Die Zigarette des Mannes wärmte ihn.
    »Wo kommst du her?«
    »Albanien.«
    »Apollonia liegt in Albanien.«
    Zu Bens Freude wurden die Züge des Mannes weicher, sie nahmen einen unverhofft zärtlichen Ausdruck an, und die Traurigkeit schwand aus ihnen.
    »Unsere schöne Römerstadt. Du warst da?«
    »Ich hab was drüber gelesen.«
    »Warum?«
    »Weil ich das mache. Archäologie.«
    »Arkeologdschi«, wiederholte Kostandin und nickte. »Ruinen, klar. Wir haben viel Ruinen in Albanien.«
    Als Ben seine Zigarette aufgeraucht hatte, erhob er sich, nahm ein Handtuch aus seinem Rucksack und ging zum Waschbecken. Ein grünes Stück Seife lag wie geronnen zwischen den Wasserhähnen. Das Wasser wurde nur langsam warm. Er zog sein Hemd aus, wusch sich Gesicht, Hände und Achselhöhlen und trocknete sich Haar, Kleider und Haut ab.
    »Jetzt du machst das nicht. Die Archäologie.«
    »Im Moment nicht.«
    »Warum dann du kommst?«
    »Ich musste irgendwohin.«
    »Aber warum Griechenland?«
    »Das ist mein Gebiet. Hier kenne ich mich am besten aus.«
    »Klar, in Archäologie. Aber England ist altes Land. Buckingham Palace, Windsor Palace. Mach Archäologie in England. Ist besser.«
    Er nahm die Seife aus dem Abfluss, legte sie wieder zwischen die Hähne und spülte sich die Hände ab. Der Landwirtschaftskalender zeigte Februar. Unter dem Bild stand auf Englisch und Griechisch Schlachthof Auster GmbH , Kalamata . Auf dem Foto schnitt eine unendlich gelangweilt wirkende junge Frau ein Schwein vom Rüssel bis zum After auf.
    »Warum du bleibst nicht in England?«, beharrte der Mann, und Ben zuckte die Achseln, um nicht gleich antworten zu müssen, die Antwort vielleicht auf später zu verschieben. Seine Nackenhaare stellten sich auf. »Hier du machst Archäologie?«
    »Nein. Ich sag doch, ich musste einfach irgendwohin.«
    »Was du bist dann, Lehrer? Student?«
    »Beides.«
    »Du siehst aus wie ein Student. Aber Studenten haben eigenes Zimmer. Vielleicht du bist was anderes.«
    Von unten drang lautes Töpfeklappern herauf, und die Stimmen wurden einen Moment lang lauter. Ben zog sein Hemd wieder an. »Vielleicht bin ich so was anderes wie du.«
    »Nein.« Kostandin hatte seine Zigarette ebenfalls aufgeraucht. Sein magerer Körper lehnte an der Wand, die Arme ruhten auf den angezogenen Knien, und er sah Ben unverwandt an. »Nicht wie ich. Gar nicht. Du bist was ganz anderes.«
     
Archäologie. Vom griechischen archaiología – Erzählungen aus der alten Geschichte .
    Er sah es anders. Erforschung von Geheimnissen, das bedeutete es für ihn. Die Art und Weise, wie man die Vergangenheit wieder zusammenfügen konnte, Stück für Stück, durch Einfallsreichtum und rationales

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