Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
betrachtete ihn neugierig. Obwohl sie keine unattraktive Frau war, hatte sie etwas Kaltes, sogar Gnadenloses. Er hielt ihrem Blick gelassen stand. Diese Frau trug die Nase vor Hochmut in den Wolken. „Mrs St. Germaine?“ fragte er, als sie vor ihm stehen blieb.
„Ja.“ Sie streckte die Hand aus. „Sie haben etwas für mich.“
Er übergab ihr den Umschlag. Sie nahm ihn und zog die Hand zurück, als fürchte sie, Santos könne sie verseuchen. Eine ungeheuerliche Beleidigung.
Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück, wo sie den Umschlag mit einem Öffner aufschlitzte und den Inhalt kontrollierte. Offenbar zufrieden mit dem, was sie sah, entnahm sie nun ihrerseits der Schreibtischschublade einen Umschlag und hielt ihn Santos hin, als erwarte sie, dass er ihn holte wie ein Hund.
Santos biss die Zähne zusammen. Er wollte verdammt sein, wenn er für diesen oder einen anderen diamantengeschmückten Gesellschafts-Pitbull apportierte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
Sekunden verstrichen. Röte zeigte sich auf den Wangen der Frau. Sichtlich gereizt, kam sie schließlich um den Schreibtisch herum auf ihn zu.
Santos schmunzelte kaum merklich über seinen Sieg. Noch nie war ihm ein Mensch so unsympathisch gewesen wie diese Frau.
Sie hielt ihm den Umschlag hin, auf dem Lilys Name stand. „Nehmen Sie ihn und gehen Sie.“
Er bewegte sich nicht, hob den Blick vom Umschlag und sah der Frau ruhig in die Augen. Sie war wütend. Sie bildete sich tatsächlich ein, ihn behandeln zu können, wie es ihr beliebte, weil sie etwas Besseres war. Nun, das stimmte vielleicht, aber er ließ sich nicht wie einen Dienstboten abkanzeln, weder von ihr noch von sonst wem. Nicht mal für Lily.
„Nehmen Sie endlich“, wiederholte sie mit unverhohlener Verachtung, „oder Sie gehen ohne.“
Santos nahm den Umschlag, jedoch ohne Eile. Nachdem er ihn in seiner Brusttasche verstaut hatte, sagte er frech lächelnd: „Danke, Baby. Tut mir Leid, dich zu enttäuschen, aber ich muss jetzt gehen.“
Empört und schockiert, wurde ihr Gesicht rotfleckig vor Zorn.
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Santos sich um, verließ das Büro und bemerkte den feindseligen Blick der Sekretärin, als er den Empfangsbereich durchquerte. Im Flur suchte er das Treppenhaus, um nicht auf den Fahrstuhl warten zu müssen. Er joggte die drei Etagen hinab, durchquerte die Lobby, froh, diese Herberge der feinen Pinkel verlassen zu können.
Santos drückte die massiven Bleiglastüren auf und war draußen. Sonnenlicht begrüßte ihn, warm für einen späten Oktobernachmittag. Er atmete auf, und die Schönheit des Tages verscheuchte etwas von seinem Ärger, seinem Abscheu und seinem Frust. Obwohl er gewonnen hatte, hinterließ dieses Treffen mit Hope St. Germaine einen bitteren Nachgeschmack. Sie und dieser Ort repräsentierten alles, was falsch war an dieser Stadt und am System der Besitzenden und der Habenichtse. Es war das System, diese Scheißunterteilung in Wertvolle und Wertlose, das dafür gesorgt hatte, dass der Mord an seiner Mutter ungesühnt geblieben war.
Er überquerte die Straße zur Bushaltestelle. Wo hatte Lily diese kalte, arrogante Frau bloß kennen gelernt? Und was hatte Lily mit ihr zu schaffen? Um welche Art von Korrespondenz ging es da, die nicht per Post erledigt werden konnte?
Er grübelte nach, was ihm an Hope St. Germaine so vertraut vorkam, obwohl sie sich zweifellos nie zuvor begegnet waren. Diese Frau war so unerfreulich, die konnte man nicht vergessen.
„Santos!“
Er drehte sich in die Richtung, aus der sein Name gerufen wurde. Ein kirschrotes Kabrio hielt am Straßenrand, das Verdeck heruntergelassen und am Steuer der Knaller aus dem Fahrstuhl.
Sie winkte ihm lächelnd zu. „Was hältst du von einer kleinen Spritztour?“
Sie ist zu jung und zu verwöhnt für mich. Aber ich mache nur eine Spritztour mit ihr.
Santos schlenderte über die Straße, sich des strengen Blickes des Türstehers bewusst. Der Page wirkte auch nicht allzu glücklich.
Er blieb neben dem Wagen stehen und ließ die Hand über einen Kotflügel gleiten. „Nette Räder. Bist du sicher, dass du das Maschinchen handhaben kannst?“
Sie hob den Kopf, und er sah sich in den Gläsern ihrer Sonnenbrille. „Warum findest du es nicht heraus? Spring rein.“
„Warum nicht.“ Santos ging auf die Beifahrerseite und stieg ein. Er deutete mit dem Kopf in die Richtung des Pagen und des Türstehers. „Was ist mit den Leibwächtern?“
„Die
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