Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Gas und bog in den Lakeshore Drive ein. „Warum? An was hast du gedacht?“
„Ich habe mich gefragt, ob deine Eltern nachts noch schlafen können.“
Sie schwieg eine Weile, und er glaubte schon, sie mit seiner Frage beleidigt zu haben. „Soweit ich weiß, ja“, erwiderte sie schließlich, und ihre Unbekümmertheit wirkte gezwungen. Sie bog in eine Parkbucht, stellte den Motor ab und wandte sich Santos zu. „Warum sollten sie nicht?“
„Wärst du meine Tochter, könnte ich nicht mehr schlafen.“
„Das klingt, als wäre ich ein Baby. Das bin ich aber nicht.“
„Nein, du bist ganze erwachsene Sechzehn.“
„Ich denke schon.“ Ihre Wangen röteten sich, und sie reckte trotzig das Kinn vor. „Warst du nicht erwachsen mit sechzehn?“
Santos dachte an die Ermordung seiner Mutter, an die verschiedenen Pflegefamilien und an seinen gefährlichen Fluchtversuch. Er war ein Leben lang erwachsene Sechzehn gewesen. Diese verwöhnte Prinzessin hatte vermutlich noch nicht mal einen Augenblick des Unbehagens erlebt, geschweige denn des Entsetzens.
„Du vergleichst Äpfel mit Birnen, Baby.“
Sie sah ihn forschend an. „Du magst mich nicht besonders, was?“
„Ich kenne dich nicht, Glory.“
„Nein, allerdings.“
Sie wandte den Blick ab. Doch kurz zuvor entdeckte er in ihrer Mimik etwas Sanftes, Ängstliches, das nicht zu dem Typ Mädchen passte, der sie angeblich war. Ihre Verletzlichkeit ließ ihn zweifeln, ob sie nicht vielleicht doch Erfahrungen mit einer anderen Version des Horrors gemacht hatte.
Der Gedanke behagte ihm nicht, und Santos öffnete die Wagentür. „Was sagtest du? Wir machen einen Spaziergang?“
Glory nickte, und sie stiegen aus. Minutenlang gingen sie schweigend an der Kaimauer entlang. Segelboote tupften die wellige Wasserfläche des Lake Pontchartrain. Möwen kreisten über ihren Köpfen. Ein Auto fuhr vorüber, dessen offenen Fenstern Musik entströmte, und vom Spielplatz auf der anderen Straßenseite erklang Kinderlachen.
Während sie gingen, strichen ihre Arme oder Hände gelegentlich aneinander. Manchmal berührte Glory Santos auch am Arm, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen. Mit jeder unschuldigen oder zufälligen Berührung wurde er sich ihrer Anziehung deutlicher bewusst, und sein Verlangen wurde heftiger.
Santos sagte sich, dass er die Situation vollkommen beherrschte. Er konnte diese Sache jederzeit beenden. Glory war ein kesser kleiner Flirt und weiter nichts. Er tat gut daran, das nicht zu vergessen.
„Mir hat es hier immer sehr gefallen“, sagte Glory leise und tief durchatmend. „Der See scheint nicht nur am anderen Ende der Stadt zu liegen, sondern irgendwie Welten entfernt von der City. Ich weiß noch, als mich mein Vater das erste Mal herbrachte, dachte ich, wir wären im Urlaub.“ Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Es war Sonntag, und Mutter hatte mal wieder eine ihrer Kopfschmerzattacken. Daddy und ich verabschiedeten uns zur Messe. Stattdessen fuhren wie hierher. Mutter war wütend, als sie es herausfand.“
„Weil ihr die Kirche geschwänzt habt?“
„Sie nimmt die Messe sehr ernst.“
Er zog die Brauen zusammen. „Das klingt, als würdest du sie nicht besonders mögen.“
„Mutter?“ Glory verzog das Gesicht. „Es ist wohl eher andersherum. Hope St. Germaine kann man kaum etwas recht machen.“
Die Eiskönigin ist die Mutter dieses Mädchens! In gewisser Weise konnte er das kaum glauben, doch irgendwie ergab es absolut Sinn.
Sie kamen in Sichtweite des Pontchartrain Beach – ein Vergnügungspark auf einer Landzunge zwischen dem Lakeshore Drive und dem Wasser. Der Park war ein Opfer der Zeit, der Ängste der Menschen und einer sich zu rasch wandelnden Welt geworden.
„Warst du jemals im Beach?“ fragte sie und nannte den Park wie es bei den Einheimischen üblich war.
„Einmal mit meiner Mutter. Ich war wohl zehn damals. Es war der schönste Ausflug, den ich je gemacht habe.“ Die Erinnerung ließ ihn lächeln und sie schmerzte. Stirnrunzelnd ärgerte er sich, dass er darüber gesprochen hatte. „Wir sollten zurückfahren.“
Er drehte sich um, Glory hielt ihn am Arm zurück. Keck und unverblümt flirtend, sah sie ihn provozierend an. „Darf ich dir eine Frage stellen, Santos?“
Er hielt ihrem Blick ruhig stand. Wenn sie flirtete, fühlte er sich wieder sicher. Das Gespräch von eben war zu persönlich gewesen. Er wollte nur Oberflächliches von ihr erfahren und auch nur Oberflächliches über sich preisgeben,
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