Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
hast …“, sie fing den Blick ihrer Tochter im Spiegel auf, „… wirst du es zutiefst bedauern.“
Glory versicherte ängstlich: „Ich tue nichts Unrechtes, Mutter, wirklich, ich …“
„Ich könnte dich wegschicken“, fuhr Hope fort und sah mit Freude, wie Glory sich wand. „An Orte, wo du nicht ständigen Versuchungen ausgesetzt bist. Orte, an denen es Menschen gibt, die wissen, wie man mit widerspenstigen Mädchen umgeht.“
Glory wich zurück, das Gesicht kreidebleich. „Du würdest mich … wegschicken?“
„Ich würde es natürlich nicht gern tun. Ich weiß, wie deine Freunde und dein Zuhause dir fehlen würden. Aber wenn es sein muss, tue ich es.“ Hope lächelte über die Angst ihrer Tochter. „Verstehst du mich?“ Glory nickte, und Hopes Lächeln wurde breiter. „Du siehst müde aus, und die Messe beginnt früh. Du solltest zu Bett gehen.“
Glory zog sich in den Flur zurück und blieb noch einmal stehen. „Sag … Daddy, dass ich gute Nacht gesagt habe. Und dass ich … dass ich mit ihm …“ Sie bekam offenbar Panik. „Ach, egal.“
Hope wandte sich wieder dem Spiegel zu. „Schließ bitte die Tür hinter dir.“
Glory tat es. Sobald das Schloss zuschnappte, entglitt Hope die Haarbürste und stieß auf der Kommode ein Parfümfläschchen um. Der Duft von Poison strömte durch den Raum. Hope öffnete ihre bebenden Hände und starrte auf die roten Flächen.
Opferblut. Wie das Blut Jesu am Kreuz. Die Sünde verlangt ihr Opferlamm.
Hope schlug die Hände vors Gesicht. Sie waren feucht und klebrig vom Blut. Ein schwacher Moschusgeruch mischte sich mit dem des verschütteten Parfüms. Ihr Magen rebellierte, sie sprang auf und stürzte ins Bad.
28. KAPITEL
Liz wurde mit jeder Minute unruhiger. Stirnrunzelnd sah sie auf ihre Uhr. Sie war um genau Viertel nach neun hier, in der Damentoilette des Fairmont Hotels, mit Glory verabredet. Wo steckte sie?
Liz begann nervös hin und her zu gehen. Was tat sie bloß hier? Was war in sie gefahren, diesem verrückten, gefährlichen Plan zuzustimmen? Sie würde in Glorys Rolle schlüpfen und vor vierhundert oder noch mehr Menschen so tun, als wäre sie Glory St. Germaine. Sie musste den Verstand verloren haben.
Liz betrachtete ihr blasses Gesicht in einem der Spiegel über den Waschbecken. Sie zitterte. Als Glory ihr den Vorschlag unterbreitet hatte, sie sollten auf diesem bal masqué die Rollen tauschen, war sie skeptisch gewesen, aber neugierig. Glory hatte nicht lange gebraucht, sie für den Plan einzunehmen, und beteuert, es sei nicht so riskant, wie sie glaube. Sie und Liz hatten dieselbe Größe und Schuhgröße und etwa dieselbe Figur. An dem Ball nahm immer eine riesige Menschenmenge teil, und der Saal war nur schwach erleuchtet. Ihre Mutter kümmerte sich nicht um sie, und ihr Vater hatte an der Bar zu tun. Wenn Liz die Maske aufbehielt und am Rande des Raumes blieb, würde alles glatt gehen.
Liz hatte sich nicht nur erwärmt für den Plan, sie war ganz begeistert gewesen. Sie hatte schon immer auf einen richtigen Maskenball gehen wollen, wie sie ihn aus historischen Erzählungen des alten Südens kannte. Außerdem war sie begierig, zu sehen, wie die andere – Glorys – Hälfte der Menschheit lebte. Den Ausschlag hatte jedoch ihr Wunsch gegeben, einmal Glory zu sein, wenn auch nur für eine Nacht.
Ihre Wangen röteten sich. Liz berührte sie und schämte sich ihrer Gedanken. Für was hielt sie sich? Für Aschenbrödel? Glaubte sie etwa, eine andere zu sein, wenn sie deren Kleider trug, oder gar den Prinzen zu bekommen?
Na sicher. Liz wandte sich vom Spiegel ab. Einmal die hässliche Stiefschwester, immer die hässliche Stiefschwester.
Sie ging zur Tür und lugte in den Flur. Sie konnte den ganzen Korridor bis zu den Fahrstühlen hinunterblicken. Keine Glory. Seufzend schloss sie die Tür wieder und ging zum Sofa im Schminkraum. Sie setzte sich und stützte das Kinn auf eine Faust.
Sie hätte wissen müssen, dass Glory sich verspätete. Das tat sie in letzter Zeit oft. Und sie, Liz, blieb immer öfter allein und deckte Glory, damit sie mit Santos zusammen sein konnte. Zuerst hatte Glory sie nur gelegentlich darum gebeten, und sie hatte gern geholfen. Doch in letzter Zeit geschah es fast täglich. Glory war ihre beste Freundin, und sie würde alles für sie tun, aber sie wurde der Sache allmählich überdrüssig und begann sich zu ärgern.
Früher hatten sie zusammen etwas unternommen, hatten gelernt, Filme gesehen, waren zum
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