Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
Einkaufen oder in die Bibliothek gegangen oder im Audobon Park Rad gefahren. Heute verbrachte sie nur noch angeblich Zeit mit Glory. Das war wohl der Preis, den man zahlen musste, wenn die beste Freundin bis über beide Ohren verliebt war.
Liz stieß mit der Spitze ihres Turnschuhs in den dicken Orientteppich. Je verliebter Glory war, desto größer wurde Liz’ Sorge, dass sie ertappt wurden. Sie hatte Glory noch nie so tollkühn erlebt und nicht geglaubt, dass sie im Hinblick auf ihre Mutter so sorglos sein könnte.
Nicht mehr lange, und Glorys Mutter würde die Veränderung an ihrer Tochter feststellen.
Falls sie das nicht schon getan hatte.
Bei dem Gedanken rieb Liz sich fröstelnd die Arme. Hope St. Germaine machte ihr Angst, obwohl sie ihr immer nur freundlich begegnet war.
Liz kaufte ihr die Freundlichkeit jedoch nicht ab und durchschaute, was dahinter steckte. Hope St. Germaine glaubte, dass Liz Sweeney einen guten Einfluss auf ihre Tochter hatte, also sanktionierte sie die Freundschaft vorläufig. Das konnte und würde sich ändern, sobald Hope fand, dass Liz nicht mehr die geeignete Freundin für ihre Tochter sei.
Hope St. Germaine war eine mächtige Frau. Mächtig und kalt. So kalt, dass es Liz manchmal bei ihrem Anblick fröstelte. Sie bezweifelte nicht, dass sie diese eisige Macht notfalls rücksichtslos gegen sie einsetzen würde.
Sie wusste auch, dass sie dann keine Möglichkeit mehr hatte, sich zu schützen. Als Stipendiatin musste sie den höchsten Anforderungen an Anstand und Moral genügen. Ein Fehltritt, und sie war draußen. Daran hatte die Akademie keinen Zweifel gelassen.
Eine Mutter kam mit zwei Kleinkindern herein, beide müde und quengelig. Sie schob sie durch den Toilettenraum in eine Kabine. Liz sah ihnen nach, doch ihre Gedanken weilten bei Glorys Mutter. Als sie Glory ihre Sorgen mitgeteilt hatte, hatte die gemeint, sie mache sich zu viele Gedanken. Ihre Mutter habe keine Ahnung, und bekäme sie dennoch Wind von der Romanze, dann würde sie sie bestrafen und nicht Liz.
Trotzdem wurde Liz das Gefühl drohenden Unheils nicht los. Glory hatte ihr von dem Streit mit Santos erzählt und wollte nun bald ihren Vater ins Vertrauen ziehen. Wenn sie das tat, kam alles heraus. Glory hatte Angst, das wusste Liz, aber nicht genug, um Vorsicht walten zu lassen oder gar Santos nicht mehr zu sehen.
Sie verstand Glory durchaus, mehr als sie sollte. In den letzten zwei Monaten hatte sie einige Zeit mit Glory und Santos verbracht. Glory hatte darauf bestanden, dass sie ihn kennen lernte. Sie wollte, dass Liz ihn auch fabelhaft fand.
Und das tat Liz. Sie hielt ihn für den wunderbarsten Burschen, der ihr je begegnet war. Er war klug und lustig und sah umwerfend gut aus. Er brachte sie zum Lachen und gab ihr das Gefühl, hübsch zu sein. Außerdem fand er es nicht abschreckend, dass sie so klug war. Er bewunderte ihre Intelligenz, sagte er jedenfalls. Sie verstanden einander auf eine Art, wie er und Glory das nie könnten. Weil sie einen ähnlichen familiären Hintergrund hatten und beide in gewisser Weise ihren eigenen Weg ins Leben finden mussten.
Sie war mehr als nur ein bisschen in Santos verliebt.
Liz nagte an ihrer Unterlippe. Sie verabscheute, dass sie so für Santos empfand. Und sie verabscheute diese quälende, hassenswerte Hoffnung, dass er und Glory sich irgendwann trennten. Das war illoyal und unehrlich. Außerdem würde sie ihren Gefühlen für Santos nie nachgeben. Ihre Freundschaft zu Glory war wichtiger, die würde sie nie verraten.
Nicht, dass Santos einen zweiten Blick auf sie verschwenden würde. Liz fuhr mit dem Finger über den Polsterstoff. Selbst wenn es Glory nicht gäbe, wäre Santos für sie unerreichbar. Er sah zu gut aus, er war zu cool für einen kleinen Bücherwurm wie sie.
Grübelnd sank Liz gegen die weichen Kissen und dachte an ihre Zukunft. Eines Tages würde sie reich, respektiert und erfolgreich sein. Sie würde ein Mittel gegen Krebs erfinden oder etwas anderes, das die Welt veränderte. Dann machte es nichts mehr, dass sie weder hübsch noch kurvenreich, noch charmant war.
Die Akademie war erst der Anfang. Mit Bestnoten von dort konnte sie Stipendien fürs College bekommen. Sie würde alles haben, was sie sich erträumte.
Die Mutter mit den Kindern kam aus dem Toilettenraum und schob die Kleinen freundlich lächelnd durch den Sitzbereich an Liz vorbei. Liz erwiderte das Lächeln. Die Frau erinnerte sie an ihre eigene Mutter. Als sich die Tür hinter den
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