Verbotene Gefühle - prickelnd wie Champagner
auf den Sicherheitsdienst zuging, musste sie daran denken, dass jeder normale Besucher gleich die Aufzüge nach oben nehmen konnte. Wer allerdings mit dem Vater oder den Brüdern sprechen wollte, deren Büros ganz oben lagen, musste sich vom Sicherheitsdienst einen Ausweis geben lassen, mit dem man den Sonderfahrstuhl benutzen konnte, der direkt ins Penthouse führte. Als Kind hatte sie sich immer als etwas Besonderes gefühlt, wenn man ihr erlaubt hatte, den Vater zu besuchen, so selten das auch vorkam. Heute empfand sie sich umso mehr als Außenseiterin.
„Guten Tag, Ms Prentice.“
„Hallo, Jerry.“ Jerry arbeitete schon seit zwanzig Jahren für ihren Vater. Als Erica noch klein gewesen war, hatte er immer irgendeine Süßigkeit für sie in der Schublade gehabt. Offenbar freute er sich immer, sie zu sehen, was sie von ihrem Vater nicht behaupten konnte. „Ich möchte zu meinem Vater.“
„So ist es recht. Vater und Tochter sollten zusammenhalten“, meinte Jerry, während er etwas in einem Eingangsbuch notierte und dann Erica einen Ausweis aushändigte. „Seit meine Karen ausgezogen ist und aufs College geht, sehe ich sie viel zu selten.“
Erica nickte ihm lächelnd zu und hoffte, dass sie zuversichtlicher wirkte, als sie sich fühlte. Väter und Töchter. Ob Don Jarrod wohl ein guter Vater gewesen wäre? Hatte seine Tochter Melissa ein herzliches Verhältnis zu ihrem Vater gehabt, etwas, wonach Erica sich immer gesehnt hatte? Oder war Donald aus dem gleichen Holz geschnitzt gewesen wie Walter, beides wohlhabende und mächtige Firmenbosse? Vielleicht war es für solche Männer typisch, sich mehr für ihr Unternehmen als für ihre Kinder zu interessieren. Manchmal konnte die Beziehung zwischen Vater und Tochter bestimmt sehr eng sein. Und manchmal hatte sie gar keine Gelegenheit, sich zu entfalten. So wie in meinem Fall, dachte Erica wehmütig.
„Schönen Tag noch“, sagte Jerry freundlich, als sie den Ausweis in die Tasche steckte und auf den Sonderfahrstuhl zusteuerte. Ein schöner Tag? Wahrscheinlich eher ein verwirrender, vielleicht auch ein sehr beunruhigender Tag, aber schön? Eigentlich nicht. Sie drückte auf den Knopf, die Aufzugtüren öffneten sich, und sie stieg ein. Ihr war mehr als beklommen zumute. Was sollte sie nur sagen? Wie sollte sie das Gespräch beginnen? „Hallo, Vater. Oder soll ich lieber Walter zu dir sagen?“
Bei dieser Vorstellung traten ihr die Tränen in die Augen, aber sie unterdrückte sie. Vor Christian Hanford hatte sie sich zusammennehmen können, also würde sie auch jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Sekundenlang tauchte Christians attraktives Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Wenn er nicht gekommen wäre, um ihr Leben vollkommen durcheinanderzubringen, hätte sie sich ernsthaft in ihn verlieben können. Aber so hatte sie gar keine Zeit gehabt, auf ihr Herz zu hören.
Doch darüber sollte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Das Gespräch mit dem Vater – Walter – stand ihr noch bevor. Vielleicht hätte sie sich besser darauf vorbereiten sollen, hätte sich zurechtlegen sollen, was sie sagen wollte, bevor sie hier in die Hauptverwaltung stürzte. Aber sie war so verwirrt gewesen wegen dieser neuen Eröffnungen und gleichzeitig so wütend, weil man ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte, dass sie dieses Gespräch schnell hinter sich bringen musste. Vorher würde sie sowieso keine Ruhe finden. Im Gegenteil, sie würde sich nur noch mehr aufregen.
Außerdem ist es jetzt sowieso zu spät, dachte sie, als sich die Türen wieder öffneten und sie hoch erhobenen Hauptes heraustrat. Sie war jetzt hier, und es wurde Zeit, dass Walter ihr Rede und Antwort stand. Auf dem dicken Teppich waren ihre Schritte nicht zu hören. Genau das war auch Walter Prentice’ Absicht gewesen. Er wollte nicht durch das Klappern irgendwelcher Absätze gestört werden. Und was er anordnete, wurde gemacht. Der Blick durch die bodenhohen Fenster auf die Stadt und die Bucht war atemberaubend. Die Lage der Hauptverwaltung war perfekt gewählt, das musste sie dem Vater lassen.
Mit schnellen Schritten ging Erica den langen Flur entlang, bis sie vor dem Schreibtisch von Jewel Franks stehen blieb. Ms Franks war in den Fünfzigern und der Firma seit Langem verbunden. Wenn jemand wusste, was in dem Unternehmen vor sich ging, dann war sie es. Sie hatte eisgraues Haar, blaue Augen und eine Engelsgeduld. Die allerdings brauchte sie auch, um mit Walter Prentice zurechtzukommen.
„Erica!“ Jewel
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