Verbotene Lust
den letzten Tagen gemerkt, musste sie vorsichtig vorgehen. Sie hatte das Gefühl, dass Sonja ständig auf der Hut war und sich von Marlene nicht so leicht einlullen ließ.
André hingegen war, wie sie erwartet hatte, überhaupt kein Problem.
Sonja blickte hoch. »Morgen«, sagte sie mit rauer Stimme. »Draußen tobt ein ganz schön heftiger Sturm.«
Marlene trat an die Fensterfront. Es war noch zu dunkel, um etwas zu erkennen, aber sie hörte das Donnern der Brandung. »Wow«, sagte sie leise. »Klingt gefährlich.«
»Vielleicht gar nicht schlecht, dass ich nicht mehr schlafen konnte.« Sonja stand auf. Sie goss Kaffee nach, ehe sie die Tür zu ihrem Arbeitszimmer ansteuerte.
»Dann schaffe ich heute vielleicht mal mehr.«
Marlene überlegte fieberhaft, wie sie Sonja davon abhalten konnte, sofort wieder zu verschwinden.
Sie musste endlich vorankommen. Wenn Sonja sich den ganzen Tag im Arbeitszimmer verschanzte und André am Strand entlanglief, kam sie nie ans Ziel. Sie hatte bemerkt, dass zwischen den beiden eine gewisse Irritation herrschte. Im Grunde kam diese ihrem Plan entgegen, doch widerstrebte es ihr, wenn es zu einfach war. Sie wollte, dass Sonja und André zueinanderfanden.
Sie wollte, dass ihr Zuschlagen umso tödlicher war, wenn der richtige Zeitpunkt kam.
»Ich hab gesehen, dass es oben eine Klappe zum Dach gibt«, plapperte sie hastig los. »Du weißt schon, so eine Tür in der Flurdecke, die zum Dachboden führt. Meinst du, wir könnten da heute Nachmittag mal zusammen raufgehen?«
Sonja blieb stehen. Langsam drehte sie sich zu Marlene um. Sie hatte die Stirn gerunzelt. »Wieso?«, fragte sie. »Was soll ich da oben?«
»Vielleicht hat der Vorbesitzer ja irgendwas da oben gebunkert.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hätt’s spannend gefunden, mehr nicht.«
Sonja schüttelte den Kopf. »Lass das lieber. Das Haus gehört uns nicht, es wurde mir nur zur Verfügung gestellt. Ich will nicht rumschnüffeln und was finden, das niemand finden soll.«
»Wo willst du nicht rumschnüffeln?«
André war von Marlene unbemerkt die Treppe heruntergekommen. Er trug bereits, wie jeden Morgen, seine Laufklamotten und hielt seine verdreckten Joggingschuhe in der Rechten.
»Auf dem Dachboden!«, erwiderte Sonja ungeduldig. »Marlene will auf dem Dachboden herumschnüffeln,aber ich hab ihr gesagt, dass wir das nicht tun sollten, weil uns das Haus nicht gehört.«
André zuckte mit den Schultern. »Wieso nicht? Wenn du magst, können wir zusammen da hochgehen, wenn ich vom Laufen wieder da bin«, schlug er an Marlene gewandt vor.
Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Da, dachte sie triumphierend, die bittere Pille sollte Sonja erst mal schlucken!
»Bis gleich!« Er verschwand durch die Tür. Ein heftiger Windstoß riss sie ihm aus der Hand, und Sonja zuckte bei dem lauten Knall zusammen.
Einen Moment lang schwiegen beide.
»Wenn du magst, können wir auf den Dachboden«, sagte Sonja schließlich. »Nach dem Frühstück?«
Marlene nickte nur. Aber sie verspürte ein Flattern in sich. Erregt. Freudig. Sie kam ihrem Ziel näher, Schritt für Schritt!
* * *
»Keine Ahnung, was du dir davon erhoffst.« Sonja beobachtete, wie Marlene die Leiter auszog und die ersten Stufen hinaufkletterte.
»Findest du es nicht unglaublich spannend, was andere Leute auf ihren Dachböden aufheben? Welche Erinnerungen für sie wertvoll genug sind, aufbewahrt zu werden?«
»Hm«, machte Sonja. Sie folgte Marlene, die flink die Stufen hinaufkletterte. Sie verharrte nach vier Stufen und wartete, bis Marlene die Lichtschnur zog und der Dachboden in gelbes Licht getaucht wurde.
Vielleicht war es keine gute Idee, ausgerechnet an diesem Tag auf den Dachboden zu klettern, dachte Sonja. Der Sturm ließ die Dachschindeln klappern, und eisig fuhr der Wind durch alle Ritzen. Sie umarmte sich fröstelnd und schaute sich, auf einer Stufe stehend, auf dem Dachboden um.
Es war beinahe gemütlich.
Jemand hatte ein altes Sofa und einen Sessel hier heraufgebracht, und dazwischen stand ein Karton, auf dem ein Tablett abgestellt war. Das Teeservice aus zartem, mit Rosen bemaltem Porzellan, das auf dem Tablett stand, war von grauem Staub überzogen, wie auch die Polster vermutlich genug Staub bargen, dass sie allein beim Gedanken daran husten musste. Marlene lief geduckt zum Sofa und nahm eine Decke herunter. »Frierst du?«
Selbst wenn sie gefroren hätte, wäre Sonja im Leben nicht auf die Idee gekommen, sich die verdreckte Decke um die
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