Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
das junge Mädchen gekränkt: »Mit welchem Recht ...«
»Dunjetschka, auch du bist hitzig, hör auf, morgen ... Siehst du denn nicht ...« rief die Mutter erschrocken, sich zu Dunja stürzend. »Ach, gehen wir lieber fort!«
»Er phantasiert!« rief der betrunkene Rasumichin. »Wie würde er es sonst wagen! Morgen ist dieser ganze Unsinn aus seinem Kopfe weg ... Heute hat er ihn tatsächlich hinausgeworfen. Das war wirklich so. Nun wurde jener böse ... Er hat hier Reden geschwungen, mit seinem Wissen geprahlt und ist schließlich mit eingezogenem Schwanz abgezogen ...«
»So ist es wirklich wahr?« rief Pulcheria Alexandrowna.
»Bis auf morgen, Bruder«, sagte Dunja mitleidsvoll. »Wollen wir gehen, Mamachen ... Leb wohl, Rodja!«
»Hör, Schwester«, sagte er ihr wieder, seine letzten Kräfte zusammennehmend: »ich phantasiere nicht; diese Ehe ist eine Gemeinheit. Mag ich ein Schuft sein, du darfst es aber nicht! ... nur einer von beiden ... und wenn ich auch ein Schuft bin, so werde ich eine solche Schwester nicht als Schwester anerkennen. Entweder ich oder Luschin! Geht ...«
»Du bist ja verrückt geworden! Despot!« brüllte Rasumichin, aber Raskolnikow antwortete nicht, war vielleicht auch gar nicht imstande, zu antworten. Er legte sich aufs Sofa und wandte sich völlig erschöpft zur Wand. Awdotja Romanowna blickte Rasumichin neugierig an; ihre schwarzen Augen funkelten; Rasumichin fuhr unter diesem Blicke sogar zusammen. Pulcheria Alexandrowna stand wie vom Blitz getroffen da.
»Ich kann doch unmöglich weggehen!« flüsterte sie fast verzweifelt Rasumichin zu. »Ich bleibe hier, irgendwo ... begleiten Sie Dunja nach Hause.«
»Sie verderben die ganze Sache«, antwortete Rasumichin außer sich, gleichfalls flüsternd. »Gehen wir wenigstens auf die Treppe hinaus. Nastasja, leuchte uns! Ich schwöre Ihnen,« fuhr er halblaut auf der Treppe fort, »er hat vorhin mich und den Arzt beinahe verprügelt! Verstehen Sie das? Den Arzt selbst! Und jener gab ihm nach, um ihn nicht zu reizen, und ging fort, ich aber blieb unten, um aufzupassen. Nun hat er sich angekleidet und ist durchgebrannt. Er wird auch jetzt durchbrennen, wenn Sie ihn reizen werden, bei Nacht, und wird sich etwas antun ...«
»Ach, was sagen Sie?«
»Auch kann Awdotja Romanowna unmöglich allein ohne Sie in diesen möblierten Zimmern bleiben. Bedenken Sie doch, wo Sie abgestiegen sind, als hätte dieser Schuft, Pjotr Petrowitsch keine bessere Wohnung für Sie finden können! Übrigens, wissen Sie, ich bin ein wenig betrunken und habe darum ... geschimpft; beachten Sie nicht ...«
»Ich gehe aber zur Wirtin«, bestand Pulcheria Alexandrowna auf ihrem Willen, »und will sie anflehen, mir und Dunja irgendeinen Platz für diese Nacht zu geben. Ich kann ihn nicht so zurücklassen, ich kann es nicht!«
Als sie so sprachen, standen sie draußen auf dem Treppenabsatz vor der Tür zur Wohnung der Wirtin, Nastasja leuchtete ihnen von der letzten Stufe herab. Rasumichin war in ungewöhnlicher Erregung. Vor einer halben Stunde, als er Raskolnikow nach Hause begleitete, war er zwar übermäßig gesprächig, dessen er sich auch bewußt war, dabei aber vollkommen munter und beinahe frisch, trotz der ungeheuren Menge des von ihm ausgetrunkenen Weines. Sein jetziger Zustand glich aber einer Ekstase, und zugleich stieg ihm der ganze Wein mit doppelter Kraft auf einmal in den Kopf. Er stand mit den beiden Damen, hielt sie beide an den Händen fest, redete ihnen zu, drückte ihnen, während er seine Gründe mit erstaunlicher Offenheit darlegte, die Hände bei jedem Wort so fest zusammen, daß es ordentlich wehtat, und verschlang dabei, ohne sich im geringsten zu genieren, Awdotja Romanowna mit den Augen. Vor Schmerz versuchten sie ab und zu ihre Hände seiner großen knochigen Hand zu entreißen, sobald er aber die Absicht merkte, zog er sie noch fester zu sich heran. Wenn sie ihm jetzt befohlen hätten, kopfüber von der Treppe hinunterzuspringen, um ihnen damit einen Dienst zu erweisen, so hätte er es, ohne zu überlegen und ohne zu zweifeln, getan. Pulcheria Alexandrowna, ganz aufgeregt vom Gedanken an ihren Rodja, fühlte zwar, daß der junge Mann allzu exzentrisch sei und ihre Hand viel zu stark drücke, doch da er für sie die Vorsehung war, wollte sie alle diese exzentrischen Einzelheiten nicht beachten. Trotz der gleichen Aufregung und obwohl sie nicht zu den Angstlichen zählte, beobachtete Awdotja Romanowna erstaunt und sogar fast erschrocken
Weitere Kostenlose Bücher