Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
die in wildem Feuer brennenden Blicke des Freundes ihres Bruders, und nur das grenzenlose Vertrauen, das sie aus den Berichten Nastasjas über diesen schrecklichen Menschen geschöpft hatte, hielt sie davon ab, von ihm wegzulaufen und die Mutter mit sich mitzuziehen. Sie verstand auch, daß es ihnen vielleicht nicht mehr möglich war, vor ihm zu fliehen. Nach zehn Minuten wurde sie aber schon bedeutend ruhiger: Rasumichin hatte die Fähigkeit, sich in jedem Zustand, in dem er sich befand, gleich in seinem wahren Lichte zu zeigen, und so sahen sie sehr bald, mit wem sie es zu tun hatten.
»Zu der Wirtin geht es nicht, und es ist ein furchtbarer Unsinn!« schrie er, indem er Pulcheria Alexandrowna zu überreden suchte. »Obwohl Sie seine Mutter sind, bringen Sie ihn doch zur Raserei, wenn Sie hier bleiben, und dann kann weiß der Teufel was wer den! Hören Sie, ich will folgendes tun: einstweilen wird bei ihm Nastasja sitzen, und ich begleite Sie beide nach Hause, denn Sie können unmöglich allein durch die Straße gehen: bei uns in Petersburg ist es in dieser Beziehung ... Na, ich spucke drauf! ... Dann laufe ich sofort von Ihnen her und bringe Ihnen in einer Viertelstunde, mein Ehrenwort drauf, den Bericht, wie es ihm geht, ob er schläft, usw. Dann, hören Sie, dann laufe ich von Ihnen sofort zu mir nach Hause – dort habe ich Gäste sitzen, sie sind alle betrunken – ich nehme Sossimow mit – es ist der Arzt, der ihn behandelt, er sitzt jetzt bei mir und ist nicht betrunken; der ist niemals betrunken! – Ich schleppe ihn zu Rodja und komme dann gleich wieder zu Ihnen; so erhalten Sie in einer Stunde zwei Berichte über ihn – auch vom Arzt, verstehen Sie, vom Arzt selbst, und das ist doch etwas ganz anderes als von mir! Wenn es schlecht geht, so schwöre ich Ihnen, daß ich Sie zu ihm herbringe, und wenn es gut geht, können Sie sich schlafen legen. Ich aber bleibe die ganze Nacht hier im Flur, er wird es gar nicht hören; den Sossimow werde ich aber zwingen, bei der Wirtin zu nächtigen, damit er gleich zur Hand sei. Nun, wen braucht er jetzt notwendiger, Sie oder den Arzt? Der Arzt ist doch wichtiger, wichtiger. Gehen Sie also nach Hause! Zu der Wirtin ist es ganz unmöglich; mir ist es möglich, Ihnen aber nicht – sie wird Sie nicht hereinlassen, weil ... weil sie dumm ist ... Sie wird auf Awdotja Romanowna eifersüchtig sein, wenn Sie es unbedingt wissen wollen, und auch auf Sie ... Auf Awdotja Romanowna auf jeden Fall. Sie hat einen vollkommen – vollkommen unberechenbaren Charakter! Übrigens bin auch ich dumm ... Ich spucke drauf! Gehen wir! Vertrauen Sie mir? Nun, vertrauen Sie mir oder nicht?«
»Gehen wir, Mamachen«, sagte Awdotja Romanowna. »Er wird es sicher so machen, wie er versprochen hat. Er hat den Bruder schon einmal lebendig gemacht, und wenn es wahr ist, daß der Arzt wirklich bereit ist, hier zu nächtigen, so kann man sich doch wirklich nichts Besseres wünschen!«
»Sie ... ja Sie ... Sie verstehen mich, weil Sie ein – ein Engel sind!« rief Rasumichin entzückt. »Gehen wir! ... Nastasja! Lauf sofort hinauf und sitze bei ihm mit dem Licht; in einer Viertelstunde komme ich wieder ...«
Pulcheria Alexandrowna war zwar noch nicht völlig überzeugt, leistete aber keinen Widerstand mehr. Rasumichin faßte beide unter und schleppte sie die Treppe hinab. Übrigens hatte sie doch einige Sorge: »Er ist zwar flink und gut, kann er aber auch das erfüllen, was er verspricht? In diesem Zustande?! ...«
»Ich weiß, Sie denken jetzt an meinen Zustand!« unterbrach sie Rasumichin, ihre Gedanken erratend, während er mit Riesenschritten über das Trottoir weiterging, so daß die beiden Damen ihm kaum folgen konnten, was er übrigens gar nicht merkte. »Unsinn! Das heißt ... ich bin betrunken wie ein Narr, aber die Sache ist die: ich bin nicht vom Wein betrunken. Als ich Sie sah, da stieg es mir in den Kopf ... Aber spucken Sie auf mich! Beachten Sie es nicht: ich rede Unsinn, ich bin Ihrer unwürdig ... ich bin Ihrer im höchsten Grade unwürdig! Sobald ich Sie heimgebracht habe, gehe ich sofort zum Kanal, gieße mir zwei Eimer Wasser über den Kopf und bin gleich ein anderer Mensch ... Wenn Sie nur wüßten, wie sehr ich Sie beide liebe! ... Lachen Sie nicht, und seien Sie mir nicht böse! ... Allen Menschen dürfen Sie böse sein, nur mir nicht! Ich bin sein Freund, folglich auch Ihr Freund. So will ich es ... Ich habe es vorausgeahnt ... im vergangenen Jahr war mal so ein Augenblick
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