Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
unterwegs kam ihm aber plötzlich ein neuer Gedanke! »Warum zur Newa? Warum ins Wasser? Wäre es nicht besser, irgendwohin sehr weit hinzugehen, vielleicht wieder auf die Inseln und dort alles im Walde unter einem Busche zu verscharren und sich vielleicht auch den Baum zu merken?« Obwohl er fühlte, daß er in diesem Augenblick nicht imstande war, alles klar und vernünftig zu überlegen, erschien ihm dieser Gedanke fehlerlos.
Aber es war ihm auch nicht beschieden, auf die Inseln zu kommen, es geschah etwas anderes: als er vom W–schen Prospekt auf den Platz kam, erblickte er plötzlich linker Hand den Eingang in einen von lauter blinden Mauern eingeschlossenen Hof. Rechts, gleich vom Eingange zog sich tief in den Hof hinein die blinde, ungetünchte Mauer eines dreistöckigen Nachbarhauses. Links, parallel zu der blinden Mauer, zog sich, gleichfalls beim Tore beginnend, etwa zwanzig Schritte in die Tiefe des Hofes hinein, ein Bretterzaun, der dann nach links abbog. Es war ein leerer eingezäunter Platz, wo allerlei Materialien lagen. Weiter, in der Tiefe des Hofes, sah hinter dem Zaune die Ecke eines niedrigen, verrauchten, gemauerten Schuppens hervor, offenbar der Teil einer Werkstätte. Hier befand sich wohl eine Wagnerei oder eine Schlosserei oder etwas ähnliches; überall, fast beim Tore beginnend, lag schwarzer Kohlenstaub. »Hier könnte ich es wegwerfen und dann fortgehen!« kam es ihm in den Sinn. Da er im Hofe keinen Menschen bemerkte, schlüpfte er in das Tor und erblickte sofort dicht beim Tore eine am Zaune angebrachte Rinne (solche Rinnen werden oft in den Höfen angebracht, wo es viele Arbeiter, Angestellte, Fuhrleute usw. gibt); über der Rinne war am Zaune mit Kreide höchst unorthographisch der übliche Witz geschrieben: »Hier ist es verboten, stehen zu bleiben.« Das hatte auch den Vorteil, daß es keinen Verdacht erregte: er ist einfach hereingegangen und ist stehengeblieben. »Alles auf einmal in einen Haufen werfen und fortgehen!«
Als er sich noch einmal umgesehen und die Hand schon in die Tasche gesteckt hatte, erblickte er plötzlich dicht an der Außenmauer, zwischen dem Tor und der Rinne, wo der Zwischenraum höchstens einen Arschin breit war, einen großen unbehauenen Stein, der etwa eineinhalb Pud schwer sein mochte und direkt an der Straßenmauer lag. Hinter dieser Mauer lagen die Straße und der Bürgersteig, und er konnte die vielen Leute vorbeigehen hören, die es hier immer gab; doch hinter dem Tore konnte ihn niemand bemerken, höchstens wenn jemand von der Straße hereinkäme, was übrigens leicht passieren konnte, und darum mußte er sich beeilen.
Er beugte sich zum Stein, packte ihn oben fest mit beiden Händen, nahm alle seine Kräfte zusammen und drehte den Stein um. Unter dem Steine bildete sich eine kleine Vertiefung: er begann sofort alle Gegenstände aus seiner Tasche hineinzuwerfen. Der Beutel kam ganz oben zu liegen, und doch blieb in der Vertiefung noch Platz. Darauf packte er wieder den Stein, drehte ihn mit einem Ruck um, so daß er wieder an den alten Platz zu liegen kam und vielleicht nur ein wenig in die Höhe geschoben schien. Er scharrte aber etwas Erde zusammen und drückte sie mit dem Fuße am Rande fest. Nun war nichts mehr zu sehen.
Dann verließ er den Hof und ging auf den Platz zu. Wieder bemächtigte sich seiner für einen Augenblick eine starke, beinahe unerträgliche Freude, wie vorhin im Polizeibureau. »Alle Spuren sind verwischt! Wem wird jetzt einfallen, unter diesem Stein zu suchen? Er liegt hier vielleicht seit der Erbauung des Hauses und wird vielleicht noch ebenso lange liegen. Und wenn man es auch findet: wer wird auf mich kommen? Alles ist erledigt! Es gibt keine Indizien!« Und er fing zu lachen an. Ja, er erinnerte sich später, daß er in ein nervöses, vibrierendes, lautloses, langes Lachen ausgebrochen war und so lange gelacht hatte, als er über den Platz ging. Als er aber den K–schen Boulevard erreichte, wo er vorgestern jenem Mädchen begegnet war, verging ihm das Lachen. Andere Gedanken kamen ihm in den Sinn. Es kam ihm sogar vor, daß es ihm ekelhaft sein müsse, an jener Bank vorbeizugehen, auf der er damals, nachdem das Mädchen gegangen war, gesessen und nachgedacht hatte; daß es ihm auch schrecklich sein würde, jenem Schutzmann zu begegnen, dem er damals zwanzig Kopeken gegeben hatte. »Hol ihn der Teufel!«
Er ging und blickte zerstreut und gehässig um sich. Alle seine Gedanken drehten sich jetzt um einen einzigen
Weitere Kostenlose Bücher