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Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)

Titel: Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michajlowitsch Dostojewskij
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im Spiele‹, wie Ihr Arbeiter sagte, als er den Mitrej puffte, wissen Sie, in der Sache der Alten.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich weiß vielleicht mehr als Sie.«
    »Sie sind so sonderbar ... Wahrscheinlich sind Sie noch krank. Das war dumm, daß Sie ausgegangen sind.«
    »Komme ich Ihnen sonderbar vor?«
    »Ja. Was lesen Sie da, Zeitungen?«
    »Ja, Zeitungen.«
    »Man schreibt viel von den Feuersbrünsten.«
    »Nein, ich lese nicht von den Feuersbrünsten.« Er blickte Samjotow rätselhaft an; ein spöttisches Lächeln verzerrte wieder seine Lippen. »Nein, ich lese nicht von den Feuersbrünsten«, fuhr er fort, Samjotow zublinzelnd. »Gestehen Sie doch, lieber Junge, daß Sie furchtbar gerne wissen möchten, was ich gelesen habe?«
    »Das möchte ich gar nicht; ich habe nur so gefragt. Darf man denn nicht fragen? Warum sind Sie immer gleich so ...«
    »Hören Sie, Sie sind doch ein gebildeter Mensch mit literarischen Interessen, nicht wahr?«
    »Ich habe sechs Gymnasialklassen absolviert«, antwortete Samjotow mit einiger Würde.
    »Sechs Klassen! Ach du mein kleiner Spatz! Mit einem Scheitel und mit Ringen, ein reicher Mann! Gott, was für ein lieber Junge!«
    Raskolnikow lachte nervös Samjotow direkt ins Gesicht. Jener rückte weg, weniger gekränkt als erstaunt.
    »Gott, wie sonderbar Sie sind!« wiederholte Samjotow sehr ernst. »Mir scheint, daß Sie noch immer phantasieren.«
    »Ich phantasiere? Unsinn, kleiner Spatz! ... Ich bin also sonderbar? Erscheine ich Ihnen interessant? Interessant?«
    »Ja, Sie sind wohl interessant.«
    »Soll ich Ihnen sagen, was ich gelesen, was ich gesucht habe? So viele Nummern habe ich mir doch bringen lassen! Das ist ja verdächtig, wie?«
    »Nun, sagen Sie es.«
    »Sie spitzen die Ohren, was?«
    »Was für Ohren?«
    »Das werde ich Ihnen später sagen, was für Ohren, aber jetzt mein Lieber, erkläre ich Ihnen ... oder besser: ›ich gestehe‹ ... Nein, das ist nicht das Richtige! ›Ich sage aus, und Sie nehmen es zu Protokoll,‹ – ja, so! Also ich sage aus, daß ich gelesen, mich interessiert, gesucht ... nachgeforscht habe ...« Raskolnikow kniff die Augen zusammen und hielt inne. »Nachgeforscht habe und eigens dazu hergekommen bin – das von der Ermordung der alten Beamtenwitwe«, sagte er schließlich fast im Flüstertone, indem sein Gesicht das des Samjotow beinahe berührte. Samjotow sah ihn unverwandt an, ohne sich zu regen und ohne sein Gesicht von dem seinigen zurückzuziehen. Am sonderbarsten erschien später Samjotow, daß dieses Schweigen eine volle Minute gedauert und daß sie sich eine volle Minute angestarrt hatten.
    »Nun, was ist denn dabei, daß Sie es gelesen haben?« rief er plötzlich ganz verwirrt und ungeduldig aus. »Was geht mich das an? Was ist denn dabei?«
    »Es ist dieselbe Alte,« fuhr Raskolnikow im gleichen Flüstertone und ohne sich beim Ausrufe Samjotows zu rühren fort: »Dieselbe, von der man, Sie erinnern sich doch noch, im Polizeibureau zu sprechen anfing, worauf ich in Ohnmacht fiel. Nun, verstehen Sie jetzt?«
    »Was denn? Was ›verstehen Sie‹?« sagte Samjotow fast unruhig.
    Das unbewegliche und ernste Gesicht Raskolnikows veränderte sich in einem Augenblick, und plötzlich brach er wieder in das gleiche nervöse Lachen wie vorhin aus, als könnte er sich gar nicht beherrschen. Und augenblicklich erinnerte er sich in außerordentlicher Klarheit jenes Moments, als er hinter der Tür stand, mit dem Beil in der Hand, als der Riegel hüpfte, die anderen hinter der Tür standen und schimpften und die Tür aufbrechen wollten, er aber plötzlich Lust spürte, sie anzuschreien, zu beschimpfen, ihnen die Zunge zu zeigen und zu lachen, zu lachen, zu lachen!
    »Sie sind entweder verrückt, oder ...« begann Samjotow und hielt inne, wie erschüttert durch den Gedanken, der ihm plötzlich in den Sinn gekommen war.
    »Oder? Was ›oder‹? Nun, was? Sagen Sie es doch!«
    »Nichts!« antwortete Samjotow erbost. »Unsinn!«
    Beide verstummten. Nach dem plötzlichen Lachkrampfe wurde Raskolnikow nachdenklich und traurig. Er legte die Ellenbogen auf den Tisch und stützte den Kopf in die Hand. Er schien Samjotow ganz vergessen zu haben. Das Schweigen dauerte recht lange.
    »Warum trinken Sie Ihren Tee nicht? Er wird kalt«, sagte Samjotow.
    »Ah? Was? Tee? ... Meinetwegen ...« Raskolnikow nahm einen Schluck aus dem Glase, steckte ein Stückchen Brot in den Mund, blickte Samjotow an und schien sich plötzlich an alles zu erinnern, als

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